Die Ifa zeigt: Die Hersteller und Dienstleister machen, was technisch möglich ist. Dass nicht alles möglich sein sollte – dafür müssen wir alle sorgen, meint Redakteur Daniel Gräfe.

Geld/Arbeit: Daniel Gräfe (dag)

Stuttgart -

 

Das Auto warnt den Fahrer, wenn er müde wird. Die Pizza wird direkt zum Picknickplatz geliefert. Die Hausbesichtigung findet virtuell statt. Die Zahnbürste lobt die Putztechnik. Der Fremde kann via Smartphone erkennen, wer man ist. All das ist bereits jetzt oder schon bald möglich. All das wird auch auf der Berliner Elektronikmesse Ifa präsentiert, die am Freitag offiziell eröffnet wird. Die Geschwindigkeit technischer Innovationen ist derzeit rasant. Gemacht wird, was möglich ist. Aber ist es auch sinnvoll, sicher und wünschenswert?

Die Verkaufszahlen zeigen, dass längst Fakten geschaffen werden. Beschafft wird, was angeboten wird. Beispiel Smartphone: Allein in Deutschland werden dieses Jahr 24 Millionen von den Alleskönnern laut einer Prognose verkauft und für weitere Dienste genutzt. 45 Milliarden Euro – 1,4 Prozent des deutschen Bruttoinlandprodukts – werden in Zusammenhang mit Smartphones erwirtschaftet. Bis 2022 soll der Umsatz auf mindestens 60 Milliarden Euro steigen. Der Markt mit dem mobil vernetzten Menschen ist nicht nur lukrativ – die Hersteller und Dienstleister geben weltweit Milliarden für Marketing und Lobbyarbeit aus. Ihr Ziel: Begehrlichkeiten wecken und Regulierungen für den Verkauf ihrer Produkte vermeiden.

Strittig ist, was Technik möglich macht

Auch das hat mit zur Übermacht von US-Konzernen wie Facebook und Google geführt. Diese hatte immerhin die EU-Kommission jüngst mit Rekordbußen bestraft – wegen des Missbrauchs von Nutzerdaten bzw. der Marktmacht bei der Online-Suche. Doch die Strafen werfen nur ein Schlaglicht auf die bisher ungelösten Probleme. Denn Verbraucherschutz und gesellschaftliche Debatten hinken der technischen Entwicklung weit hinterher. Schlimmer noch: Sie werden bestenfalls in Expertenzirkeln diskutiert, obwohl sie doch alle betreffen.

Nicht was technisch möglich ist, ist dabei strittig, sondern was die Technik möglich macht: Müssen Kunden künftig mehr für die private Krankenversicherung zahlen, wenn sie ihre Vitaldaten nicht per Fitnesstracker übermitteln? Was ist, wenn in einem virtuellen Online-Raum der Avatar sexuell belästigt wird? Wem gehören die Daten, die bei einer Autofahrt entstehen – Hersteller, Dienstleister oder Fahrer? Und sollten Fondsmanager sich künftig noch stärker von den Empfehlungen intelligenter Maschinen leiten lassen?

Der Rechner könnte darüber entscheiden, ob jemand potenziell kriminell werden könnte

Gerade im Zusammenspiel von Mensch und Maschine tun sich Zukunftsfragen auf, wie frei, privat, individuell und sicher die Menschen einer Gesellschaft sein sollen. Selbst lernende digitale Assistenten und Maschinen schlagen künftig nicht nur vor, was der Nutzer aufgrund der persönlichen Erfahrungen in den kommenden Stunden am liebsten machen könnte. Sie könnten bei der Internetsuche nur bestimmte Produkte zu erwünschten Preisen anzeigen, für die der Hersteller Werbung schaltet. Im besten Fall könnte jeder Verbraucher genau das bekommen, was er tatsächlich gerade braucht. Im schlechtesten Fall beantworten für ihn intelligente Rechner die Frage, ob er potenziell kreditwürdig ist oder gar einmal kriminell werden könnte.

Das Wachstum mit und in der künstlich-intelligenten, vernetzten Welt sollte man nutzen, aber gleichzeitig endlich auf breiter Basis diskutieren, welche gesellschaftlichen Regeln und Werte bei der technischen Entwicklung gelten sollen. Welche Entscheidungen zum Beispiel von künstlicher Intelligenz abgenommen werden – und welche nicht. Welche Algorithmen angewendet werden. Von sich aus leistet das die Branche nicht. Sie schafft Fakten und macht, was technisch möglich ist. Dass nicht alles möglich sein sollte – dafür müssen wir alle sorgen.

daniel.graefe@stzn.de