Noch muten die Exoskelette recht futuristisch an, die im Rahmen des EU-Projekts „Robo-Mate“ entwickelt und jetzt in Stuttgart vorgestellt wurden. Aber sie könnten in Zukunft schwere Arbeiten deutlich leichter machen.

Stuttgart - Männer träumen gern von Superkräften – um das andere Geschlecht zu beeindrucken, den Konkurrenten zu übertrumpfen oder einfach die Welt zu retten. Literatur und Film sind voll davon: Popeye schluckte noch Spinat, Tony Stark – der Held des Marvel-Comics und -Films Iron Man – schlüpfte in einen Roboteranzug, gleichsam einem Kampfanzug, und sorgte auf der Leinwand für Superhelden-Ordnung. Und wie so oft ist diese Art von Zukunftsfantasie gar nicht so weit von der Realität entfernt. In den Labors von Industrie und Militärs tüfteln Forscher längst an sogenannten Exoskeletten, um die Leistungsfähigkeit menschlicher Knochen und Muskeln zu steigern.

 

Unter einem Exoskelett verstehen Forscher eine Stütz- und Bewegungsstruktur außerhalb des menschlichen Körpers, wobei man fairerweise sagen muss, dass die Natur ein solches Prinzip bei Insekten längst erfunden hat. Bislang dominierten zwei Forschungsrichtungen: Das US-Militär entwickelt Exoskelette, damit Infanteriesoldaten schwerere Lasten im Feld mittragen können. In der Medizintechnik helfen Exoskelette in der Reha: Mit Roboterhilfe wird die Arm- und Beinmuskulatur trainiert. Oder die Stützstruktur hilft, dass Menschen überhaupt wieder gehen können. Die Entwicklung befindet sich allerdings meist im Stadium von Prototypen.

Erste Exoskelett-Prototypen im Einsatz

Dies gilt auch für die geplanten industriellen Anwendungen. Nun präsentierten Forscher eines europäischen Konsortiums am Stuttgarter Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation (IAO) erste Prototypen eines Exoskeletts für Fabrikarbeit und Montage. „Ein Autositz von 15 Kilogramm fühlt sich beim Heben mit dem Exoskelett an wie anderthalb Kilo“, erklärt IAO-Forscherin Carmen Constantinescu. Damit hat die Ingenieurin den Einsatzbereich abgesteckt: Es geht um die Montage und später die Demontage und das Recycling von sperrigen und schweren Gegenständen in der Autoindustrie.

Hans Wernher van de Venn von der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften leitet das Projekt „Robo-Mate“ mit seinen zwölf europäischen Partnern. Im Recyclingbetrieb des französischen Projektpartners Indra legt ein Monteur am Tag eine Strecke von sieben Kilometer zurück und hievt summa summarum ein Gewicht von vier Tonnen, berichtet der Ingenieur: Batterie – zehn Kilogramm; Sitz – fünfzehn Kilo; Rad – noch einmal 15 Kilo. Das geht nicht nur auf die Kondition, sondern auch auf die Bandscheiben. Innerhalb des Projekts sollte daher ein Exoskelett entwickelt werden, das einhändig 7,5 und beidhändig 15 Kilogramm stemmen kann.

Zwei Designprinzipien

Zwei Designprinzipien haben die Forscher weiter entwickelt. Beim passiven Modell schnallt sich der Monteur das Exoskelett auf den Rücken. Gurte fixieren es um Hüfte und Bauch, an Ober- und Unterarmen. Der Mensch bekommt die Anmutung einer Fledermaus. Doch fliegen kann er damit nicht: Das Modell ermöglicht das Heben und Tragen schwerer Gegenstände allein durch die Kraft von Federn. Diese müssen zwar auf die Lasten voreingestellt sein, doch hat das Modell den Charme, dass es ohne Elektronik und Stromanschluss funktioniert. „Das könnte man sich in der Obsternte vorstellen“, sagt Venn. Auch das Überkopfarbeiten würde einfacher: Das Exoskelett kompensiert das Armgewicht – der Arbeiter hält länger durch.

In der aktiven Variante halten Elektromotoren und Sensoren Einzug. Hier hilft die Analogie zum Elektrofahrrad: Sensoren registrieren beim Antritt den Kraftaufwand des Radlers und legen elektronisch gesteuert noch eine Schippe drauf. Beim Exoskelett genauso: eine Bewegung des Ellenbogens oder des Handgelenks bewirkt eine Kraft auf das Exoskelett. Der Sensor merkt dies und lässt die gewünschte Bewegung ausführen. „Ich fühle mich schwerelos“, sagt Konrad Stadler von der Zürcher Hochschule. Er steckt seinen Arm in das Exoskelett-Teil, das sogleich das Armgewicht kompensiert. Bislang wiegt der Prototyp noch 15 Kilo. Die Forscher wollen das aber auf vielleicht fünf Kilo drücken.

„Es fühlt sich an wie Rucksacktragen“

Zwar bedeutet ein Exoskelett zunächst eine Gewichtszunahme des tragenden Menschen. Doch die Beine können das gut halten. „Das fühlt sich an wie Rucksacktragen“, sagt Stadler. Das Exoskelett leitet gewissermaßen die Last in die Beine. Beim Heben, Tragen und Senken von Lasten sind vor allem der untere Rücken und die Lendenwirbelsäule problematisch. „Die werden mit dem Exoskelett entlastet“, betont Carmen Constantinescu. In Computermodellen können die Forscher die Belastungen von Muskeln und Knochen bei Industrietätigkeiten recht genau simulieren. „Bislang ist es noch keinem gelungen, den Menschen und das ihn umgebende Exoskelett als eine Einheit zu berechnen“, sagt Constantinescu. Die Ergebnisse fließen in die Konstruktion des Exoskeletts. Das soll einmal drei Module aufweisen, die für verschiedene Tätigkeiten einsetzbar sind.

Das Beinmodul unterstützt die Oberschenkel und kann als Sitz dienen. Das Rumpfmodul kompensiert die Belastungen von Rücken und Wirbelsäule beim Bücken. Und das Armmodul unterstützt aktiv das Heben und Senken von Lasten. Der Fahrzeugentsorger Indra will alle Module demnächst in seinem Demontagewerk austesten. Kooperationspartner Fiat möchte die Exoskelette in der Montage einsetzen – und hat bereits ein Problem: Die Prototypen sind noch zu sperrig. Der Monteur kam in die kleinen Fahrzeuge gar nicht rein.

Noch muten die Entwürfe recht futuristisch an

Ob ein Monteur seine Arbeitsrüstung acht Arbeitsstunden tragen kann und will, ist aber noch völlig offen. „Der Prototyp funktioniert, sieht aber mit all den Kabeln noch abschreckend aus“, sagt Projektleiter van der Venn. Das Exoskelett ist nur nützlich, wenn es die Arbeiter auch akzeptieren, wissen die Projektmitarbeiter. In weiteren Entwicklungs- und Designschritten sollen daher die Technikmodule schlanker und schicker ausfallen. Die ersten Entwürfe sehen recht futuristisch aus: Da nähert sich der Mensch in Superheldenrüstung wieder den Vorbildern in Literatur und Film.

Superheldenausrüstung für Jedermann

Projekt
Im EU-Forschungsprojekt „Robo-Mate“ entwickeln zwölf Hochschul- und Industriepartner ein Exoskelett, um die Arbeit von Monteuren zu vereinfachen. Gesundheitsvorsorge und Sicherheit stehen ebenfalls im Fokus. Das Budget: 4,5 Millionen Euro.

Modelle
Im Projektzeitraum bis 2016 sollen zwei Prototypen fürs Heben und Tragen von Lasten bis 15 Kilogramm entwickelt werden. Ein Modell basiert ausschließlich auf der Kompensationskraft von Federn. Das zweite Modell nutzt Elektromotoren und Sensoren.

Industrie
Überall, wo Menschen schwer heben, sich unter Last weit vorbeugen oder über Kopf arbeiten, können Exoskelette entlasten.

Medizin
Roboter helfen in der Rehabilitation etwa beim Bewegungstraining von Armen und Beinen. Bei gehbehinderten Menschen können Exoskelette stützen und bei Bewegungen helfen.

Militär
Das US-amerikanische Militär und seine Forschungspartner entwickeln Exoskelette für Infanteriesoldaten, um im Feld größere Lasten zu tragen. Die Stromversorgung der elektrischen Bauelemente erfolgt mit Brennstoffzellen.