Global gesehen sprechen manche wiederum von einer (Techno)Blase, die sich aufgrund einer Spirale aus Gagen in die Höhe treibenden Fixpunkten wie Festivals, Ibiza, Las Vegas und allgemein dem amerikanischen Markt, über die vergangenen Jahre hinweg aufgebläht hat und die nun bald platzt. Was denkst du?
Mit ziemlicher Sicherheit sogar. Der Peak ist überschritten. Wie heißt es so schön, der Markt ist gesättigt. Jetzt wird noch rausgeholt was geht. Aber ist trotz allem ein interessantes Phänomen. Vor allem in Verbindung mit EDM. Da ist eine Musik entstanden im elektronischen Bereich, die nur dazu da ist, Massen in Stadien zu ziehen, Techno auf seine kommerzielle Seite reduziert, reinster DJ-Kapitalimus. Die Raving Society hat sich neoliberalisiert. DJ-Culture hatte auch schon immer was mit Rock n´Roll zu tun und EDM ist wohl irgendwie der Versuch, Rock'n’Roll zu machen - nur eben ohne Rock. Das Dreckige, Kantige wurde rausgelassen und herausgekommen ist etwas, das glatt, leicht verdaulich ist, mit beliebigen Melodien und austauschbaren DJs. Der verschwitze DJ, der mit dem Rücken zu Publikum nach seinen Platten sucht, wurde ersetzt durch den Jetset-DJ, der mit seiner gesamten Entourage von Road-Manger bis Imageberater für Gigs in Stadien kurz auftaucht. Das so etwas ohne Substanz nicht ewig hält, ist ja auch klar. Und wenn man kein Geld mehr damit machen kann, suchen sich die Investoren etwas anderes.

 

Gehen wir vom schillernden Jetset in die Niederungen des nüchternen DJ-Alltags: Wöchentlich kämpfen Abertausende von Locals, der Bodensatz der Branche, an der harten Front für ein bisschen Party und werden mitunter immer öfter geringschätzig und respektlos behandelt oder noch fieser, gar nicht beachtet, selbst wenn sie, gerade im Fall von elektronischer Musik, prinzipiell nichts anderes machen als die Big Player. Da sieht man Leute mit leuchtenden Augen ins Berghain oder nach Ibiza pilgern, aber daheim in Stuttgart interessiert sie die Musik von DJ Horscht 1000, der vielleicht sogar manchmal etwas besser sein kann, keine Sau. Wie erklärt sich das?
Da gib es einige Gründe. Zum ersten wohl das, was Marx „Die Akkumulation des Kapitals“ nannte. Ein paar Super-DJs auf der einen Seite und „verarmte“ DJs auf der anderen Seite, die für wenig Geld den ganzen Abend auflegen. Der Mittelstand scheint wegzubrechen. Und wenn du in der eigenen Stadt auflegst, ist schon mal klar, dass du nicht unbedingt zum DJ-Jetset gehörst, du wirst automatisch zur unteren Liga gezählt, unabhängig von deinen Skills. Das Hauptding, dass der DJ gute Musik auflegen soll und dadurch für einen geilen Abend sorgt, tritt in den Hintergrund. Wenn du nicht irgendwie zur Elite gehörst hast du es schwer, egal wie gut du bist. Es gibt ja auch keinen DJ, vor allem im elektronischen Bereich, der nicht produziert. DJ alleine zu sein reicht schon lange nicht mehr. Das Phänomen des Resident-DJs ist ja auch so gut wie verschwunden.

Ich bin selbst kein Fan davon, die DJ-Tätigkeit überhöht darzustellen (außer natürlich z.B. bei Turntablism) und denke, ein DJ sollte im Rahmen seiner Möglichkeiten ein schönes Erlebnis schaffen. Aber der DJ wird in manchen Örtlichkeiten von den Gästen fast schon als Leibeigener angesehen, die Jukebox, nach dem Motto: „Du musst mich jetzt rocken, der Kunde ist König, es läuft was ICH will.“ Also genau das Gegenteil an Erwartungen, wie vielleicht selbiger Gast an seine Stars im Berghain, Ibiza oder wo auch immer hat. Denn da gibt er sich voll und ganz hin und jubelt dem DJ wie einem Messias zu. Woher rühren diese Differenzen?
Ich glaube, dass in großen Teilen der Bevölkerung durch die Digitalisierung Musik als beliebig reproduzierbares Phänomen wahrgenommen wird, das jederzeit ohne Schwierigkeiten zugänglich und zu besitzen ist. Und anscheinend hat sich auch der DJ dem unterzuordnen. Clubs wie das Berghain sind ja inzwischen eine weltweit bekannte Marke, mit der sich natürlich ein bestimmter Stil und Geschmack verbindet. Wenn du dort auflegst, erfüllst du automatisch Kriterien, die dich zu einer bestimmten Kategorie von DJ machen, der dann bestimmte Erwartungen erfüllt. Das Geschmacksurteil wird schon im Vorfeld durch das Berghain festgelegt und duldet keinen Widerspruch.

Inwieweit tragen deiner Meinung nach die DJs selbst Schuld an diesem diffusen Gesamtbild ihres Berufes - dort König, hier „Partysklave“?
Ich verstehe natürlich, dass man als DJ unbedingt auflegen will, koste was es wolle, besonders wenn man am Anfang steht. Genauso, wenn jemand davon lebt, dass man sich ab und an verbiegen muss - das würde ich keinem vorwerfen. Da muss jeder selber entscheiden, wie weit er gehen will und vor allem, was er erreichen möchte. Eine gewisse Attitude schadet aber nie.

Ist es heutzutage wiederum leichter König zu werden als vor 20 Jahren?
Ich glaube, da hat sich nicht so viel geändert, auch wenn natürlich die Methoden komplett andere sind. Allein dadurch, dass du geil auflegst oder gute Tracks machst, bist du noch nie zum König geworden. Da hat jeder Zeitabschnitt seine eigenen Regeln.

Auf jeden Fall ist es heutzutage wesentlich leichter als vor 20 Jahren, elektronische Musik zu produzieren. Ist das nun gut oder schlecht?
Gute Frage. Es hat natürlich eine Demokratisierung stattgefunden. Mit relativ kleinem Budget kann man schon Musik machen, viel mehr Menschen können an diesem Prozess teilnehmen. Das finde ich in jeden Fall grundsätzlich gut. Aber das ist ja nun kein politischer Akt, sondern ein ästhetischer. Und Redundanz halte ich in den seltensten Fällen, wenn es um Ästhetik geht, gut. Das heiß, es machen zu viele Leute Musik, die davon die Finger lassen sollten. Hinzu kommt, dass soziale Medien, wie z.B. Soundcloud das Veröffentlichen auch noch leicht machen und die finanziellen Hürden, im Gegensatz zu einer Vinyl-Veröffentlichung auch gering sind. Dadurch kommt unheimlich viel Müll auf den Markt. Schau dir alleine die Neuheiten auf Beatport an, Unmengen von Tracks. Andererseits entdeckt man auch wirkliche Perlen. Aber auch diese treten ja in den Wettbewerb um die Aufmerksamkeit mit den anderen. Und der scheint mir immer härter zu werden. Wenn gestern noch 20.000 Plays bei Soundcloud ein Erfolg waren, müssen es eine Woche später schon 30.000 sein. Und du verdienst mit deiner Musik so gut wie keine Kohle mehr. Musik ist heutzutage Plattform um an DJ-Gigs ranzukommen, die dann Einnahmen generieren. Aber der Rock'n'Roll-Gedanke ist bei den Kids nach wie vor da, das finde ich schon cool. Egal wie schwierig es ist, jeder ist prinzipiell der Meinung, dass er es mit seiner Musik schafft. Das war schon immer ein wichtiger Antrieb der Popkultur.

Wohin denkst du, wird sich die ganze DJ-Culture in den nächsten Jahren entwickeln? Die Stars auf der einen Seite und andernorts wird ein Roboter hingestellt, der auf Zuruf Lieder abspielt? Dafür spricht ja z.B. eine App wie Wago, die Stuttgarter kürzlich auf den Markt geworfen haben.
Wahnsinn, oder? Ich habe gedacht, ich lese nicht richtig. Als nächstes dann eine Pappfigur statt eines DJs und es werden die Best of Spotify-Listen abgespielt und am Ende dann der Roboter auf Zuruf. Was für eine total bescheuerte Idee, eine der wichtigsten Funktionen des DJs, die des Selektors auszulagern, und die Musik von der Mehrheit des Publikums bestimmen zu lassen, die Masse also, was am Ende nur Mainstream heißen kann. Genau das ist ja die Aufgabe eines guten DJs, Schnittstelle zwischen Entertainment und seiner Musikmission zu sein, seinen Geschmack dem Publikum begreifbar zu machen und zusammen großartige Nächte zu erleben.
Aber so eine App ist so ein typisches Generation-Sell-Ding. Heutzutage ist irgendwie jeder Unternehmer und hat das nächste große Ding am Laufen. Ich bin ja froh, wenn ich jemanden treffe, der nicht weiß, was er machen soll, das ist richtig erfrischend. An den Unis wird ja den Studenten auch systematisch das Denken abgewöhnt, der Bachelor ist nur dafür da, sogenanntes Humankapital für den Arbeitsmarkt bereitzustellen. Aber ich bin mir sicher, auch so etwas wie diese App übersteht die DJ-Culture, kein Grund für Kulturpessimismus bezogen auf den DJ. Zuviel Hype erzeugt immer auch eine Gegenkultur.

www.walter-ercolino.de