Helga Brehme ist die Gründerin des Theaters am Faden.

Lokales: Sybille Neth (sne)

S-Süd - Schon die reich verzierte Außenfassade des verwunschenen Häuschens in der Hasenstraße legt die Spur zu einem märchenhafte Erlebnis in dessen Inneren, dem „Theater am Faden“. Und der schmale Weg durch den kleinen Garten, vorbei an Keramikfiguren, Töpfen voller Pflanzen und klingenden Windspielen macht neugierig auf das, was auf einen erwarten könnte. Wer zu früh kommt zieht an einer Strippe mit vielen Messingglocken dran – eine Klingel gibt es, aber die wird nicht benutzt und sowieso steht die Tür zum Theatercafé meist offen. Das ist das Reich von Helga Brehme. 77 Jahre alt wird sie in diesem Jahr und das Theater wird 44.

 

Das Theater am Faden ist eine One-Woman-Show

Das Theater am Faden ist seit dem Tod ihres Mannes praktisch eine One-Woman-Show, auch wenn die Tochter und andere Helfer ihr etwas zur Hand gehen. Auswahl der Geschichte – manche hat sie sogar selbst geschrieben –, Ideen für die Aufführung und das Spiel mit den Puppen selbst ist alles Helga Brehmes Sache. „Jorinde und Joringel“ nach den Gebrüdern spielt sie stets alleine. „Zum ersten Mal war das bei der Hochzeit meines Bruders 1969“, erzählt sie. Aber genauso wie Helga Brehme einfach alles sammelt, was sich an Wände, Zimmerdecken, Hausfassen oder in Nischen stecken oder klemmen lässt, sammelt sie auch Geschichten. Auf einem der Tische im Theatercafé türmen sich derzeit Bücher über Schamanen und Sibirien.

Das nächste Stück, das im Juni Premiere hat, ist ein kasachisches Märchen mit dem Titel „Ein Garten in der Wüste“. Dafür hat sie eigens den russischen Regisseur Sergei Stolyarov für drei Wochen in die Hasenstraße eingeladen, damit er der Neuinszenierung den authentischen Touch gibt, denn Helga Brehme nimmt ihr Kinderpublikum sehr ernst: „Es muss für mich einfach stimmen“, sagt sie.

Aber nicht nur das Stück muss stimmen, auch die Atmosphäre. Bevor die kleinen und größeren Kinder den Theatersaal betreten, verwandeln sie sich selbst in märchenhafte Gestalten. Durch einen labyrinthischen engen Flur gelangt der Theaterbesucher in einen Raum, dessen Wände mit Kostümen und Kopfbedeckungen behängt sind: Das Publikum – kleines wie großes – schlüpft in eine andere Rolle und schon bekommt das folgende Theatererlebnis eine zusätzliche Dimension. „Wir hatten schon bis zu 70 Kinder hier“ – doch Helga Brehme bringt das Gewusel nicht aus der Ruhe.

Auch Erwachsene ohne Kinder lieben die Puppen

Die Kinder sind aus der ganzen Stadt, auch aus der Region reisen viele an. „Bestimmte Lehrer kommen alle zwei Jahre her“, weiß sie. Und mittlerweile tauchen auch Erwachsene ohne Kinder auf, weil sie sich ebenfalls in eine andere Welt entführen lassen wollen, vor allem in östliche Gefilde – denn Russland hatte es Helga Brehme und ihrem Mann Karl Rettenbacher schon immer angetan: „Wir waren bestimmt dreißig Mal da und haben viel gespielt“, berichtet sie.

Das Puppenspiel sei dort sehr viel etablierter als hierzulande. „In Moskau gibt es große Puppentheater mit 300 Leuten, die alle Schauspieler sind.“ Das Ehepaar reiste stets mit dem Flugzeug, die Puppen im Handgepäck. Das Risiko, dass die Protagonisten ihrer Stücke auf dem Transport verloren gehen oder verspätet ankommen könnten, wollten sie nicht eingehen.

Das Puppenspiel hat Helga Brehme an der Kunstakademie gelernt und steckte ihren späteren Ehemann damit an. Der war Elektrotechniker und handwerklich sehr geschickt. „Er hat die Puppen geschnitzt“, sagt sie. Zum festen Ensemble gehören sieben Stabmarionetten, obwohl das ganze Haus von Puppen bevölkert ist. „In den 70er und 80er Jahren haben wir Schattenspielpuppen gesammelt“, erklärt sie.

Getrieben vom eigenen Idealismus

Ein Teil dieser Schätze ist derzeit in Stuttgarts tschechischer Partnerstadt Brünn ausgestellt. Die Besitzerin hat sie persönlich dorthin begleitet und selbstverständlich ein Gastspiel gegeben. Ausstellen will Helga Brehme die Puppen künftig in einem eigenen kleinen Museum unweit des Theaters. Die Räume gibt es schon, aber bis diese museumstauglich sind, muss einiges gemacht werden. Wie 1989, als das Puppenspielerehepaar von seinem früheren Sitz in der Böblinger Straße in die Hasenstraße umzog. „Mein Mann hat hier den ganzen Umbau gemacht“, erzählt sie.

Helga Brehme ist getrieben von ihrem Idealismus. Jedes Jahr macht das Theater am Faden finanziell ein stattliches Minus. Dass es die Institution immer noch gibt, liegt unter anderem daran, dass die Direktorin, Autorin, Regisseurin, Puppenspielerin, Requisiteurin und Bewohnerin des Hauses ihr Honorar nicht berechnet.

Jetzt im März macht sie erst einmal Spielpause und inszeniert zusammen mit dem russischen Gast das kasachische Märchen. Im April steht dann neben ihrem Puppentheaterrepertoire wie seit 1994 jedes Jahr, die klassische indische Musik mit mehreren Konzerten im Vordergrund.