Nach einer langen Wartung nehmen Physiker den Teilchenbeschleuniger LHC wieder in Betrieb: Mit bisher unerreichter Energie prallen die ersten Protonen aufeinander. Nachdem die Physiker das Higgs-Teilchen gefunden haben, suchen sie nun nach der Dunklen Materie.

Stuttgart - Nach einer mehr als zweijährigen Wartungspause und einigen Tests haben Physiker am unterirdischen Teilchenbeschleuniger LHC am Mittwochmorgen die ersten Experimente mit voller Energie begonnen. Sie beschleunigten die Protonen auf ein Tempo, das nur wenige Stundenkilometer unter der Lichtgeschwindigkeit liegt, und justierten die beiden gegenläufigen Teilchenstrahlen so, dass sie innerhalb der vier riesigen Detektoren kollidieren. Im 27 Kilometer langen LHC kreisen die Teilchen in Paketen von jeweils 100 Milliarden in zwei Rohren einmal im und einmal entgegen dem Uhrzeigersinn. Die Detektoren sind haushohe Apparate, in denen die Flugbahnen aller Bruchstücke von zahlreichen Instrumenten verfolgt werden können.

 

Die Geschwindigkeit der Protonen geben die Physiker in Teraelektronenvolt an. Ein Elektronenvolt ist die Energie, die ein negativ geladenes Elektron oder ein positives Proton besitzt, nachdem es mit der elektrischen Spannung von einem Volt angezogen und beschleunigt worden ist. Die Protonen im LHC fliegen jetzt mit jeweils knapp sieben Teraelektronenvolt, also sieben Billionen Elektronenvolt. Das ist Weltrekord und entspricht 99,9999991 Prozent der Lichtgeschwindigkeit – die Lichtgeschwindigkeit selbst kann ein Materieteilchen nicht erreichen. Beim Zusammenstoß von zwei Protonen werden daher rund 13 Billionen Elektronenvolt frei und aus dieser Energie können viele neue Teilchen entstehen. In seiner ersten Experimentierphase, bei der das lange gesuchte Higgs-Teilchen gefunden wurde, wurde der LHC nur mit maximal sieben Teraelektronenvolt betrieben.

Um kurz nach 12 Uhr knallten am Mittwoch im Kontrollzentrum des Forschungszentrums Cern in der Nähe von Genf, von dem aus der Teilchenbeschleuniger LHC gesteuert wird, die Champagnerkorken. Der scheidende Cern-Direktor Rolf-Dieter Heuer gratulierte seinen Kollegen und bat sie zugleich um Geduld. Die Myriaden von Teilchenkollisionen ergeben einen Wust an Messdaten, die nur von großen Computernetzwerken analysiert werden können. Das kann dauern. Die Zahl der Protonenbündel mit jeweils 100 Milliarden Teilchen in den LHC-Rohren wird in den kommenden Wochen von zunächst sechs auf mehr als 2800 erhöht. Heuers Nachfolgerin Fabiola Gianotti sagte, dass die Experimente mit höheren Energien nun erlauben würden, die großen offenen Fragen der Teilchenphysik anzugehen. Dazu gehört die Suche nach der Dunklen Materie, die sich bisher nur durch ihre Schwerkraft bemerkbar macht. Von ihr gibt es im Universum viel mehr als von normaler Materie, wie wir sie kennen. Direkt beobachtet hat sie aber noch niemand.