Telefonbetrug im Kreis Esslingen Wie Künstliche Intelligenz zum Komplizen werden kann

Bei Anruf Betrug: Die Kriminellen spielen auch mit der Angst der Opfer um ihre Angehörigen. Foto: dpa/Karl-Josef Hildenbrand

Die Stimme klingt weinerlich und ist nur schwer erkennbar. Ein vermeintlicher Verwandter spricht bei einem Anruf von einer Notlage und bittet um Geld. Durch den Enkeltrick und anderen Telefonbetrug wurden auch im Kreis Esslingen Menschen um ihr Erspartes gebracht.

Sie riefen mehrfach an – eine angebliche Angehörige, ein vermeintlicher Rechtsanwalt, eine weitere scheinbare Amtsperson. Ihr Schwager, so teilten sie einer völlig verängstigten 86-Jährigen aus Wendlingen im Laufe des Dienstags mit, habe einen tödlichen Verkehrsunfall verursacht. Er könne einer Gefängnisstrafe nur entgehen, wenn eine Kaution für ihn bezahlt werde. Das kriminelle Trio setzte die Frau laut der Polizei über einen längeren Zeitraum so unter Druck, dass sie einem unbekannten Abholer mehrere Zehntausend Euro übergab. Erst als sich ihr Sohn am Dienstagnachmittag bei der 86-Jährigen meldete, flog der Schwindel auf.

 

Dieser Vorfall ist kein Solitär. Auf einen ähnlichen Trick war bereits Ende April ein Senior aus einer anderen Esslinger Kreisgemeinde hereingefallen. Auch er sollte eine Kaution für einen Verwandten bezahlen und übergab einem Unbekannten auf einem Schulparkplatz in Esslingen Gegenstände im Wert eines fünfstelligem Betrags.

In den vergangenen Jahren verzeichnete das Reutlinger Polizeipräsidium, das auch für den Kreis Esslingen zuständig ist, laut der Sprecherin Andrea Kopp mehrere Tausend Fälle von Telefonbetrügereien. „Die meisten Fälle blieben auch durch die regelmäßigen Warnungen der Polizei, zahlreiche Aufklärungs- und Präventionsaktivitäten sowie vielfältige Aktionen im Versuchsstadium stecken. Trotzdem kommt es immer wieder zu vollendeten Taten mit teils sechsstelligem Schaden.“

Lockungen mit Gewinnen und Erbschaften

Eine dieser Warnungen veröffentlichte die Polizei Mitte April über die Medien: Über Nürtingen rolle eine Welle betrügerischer Telefonate hinweg. Die kriminellen Anrufer würden sich als Polizeibeamte oder Amtspersonen ausgeben und behaupten, dass bei einer angeblich verhafteten Einbrecherbande ein Zettel mit der Anschrift der oder des Angerufenen gefunden worden sei. Ein Einbruch stehe unmittelbar bevor. Geld und Wertsachen seien im Haus und auch bei der Bank nicht mehr sicher und sollten daher einem Polizisten in Verwahrung gegeben werden. Der größte Anteil der Telefonbetrügereien entfällt laut Andrea Kopp auf diese Masche mit den „falschen Polizeibeamten“. Aber es gebe auch Tricks mit Erbschaften oder Gewinnen aus Glücksspielen, die gegen Überweisung einer höheren Summe ausbezahlt werden könnten.

Viele Menschen fallen nach wie vor auf solche Betrugsmaschen herein. Zahlen speziell für den Landkreis Esslingen haben die Behörden zwar nicht vorliegen. Doch der Gesamtschaden durch Telefonbetrüger mit den Formen Enkeltrick, falscher Polizist und Schockanruf lag im Jahr 2023 in Baden-Württemberg laut Katharina Lutz-Schädler, Sprecherin des Stuttgarter Innenministeriums, bei rund 21,6 Millionen Euro.

Notlage ist nur vorgetäuscht

„Hallo Mama, ich habe ein neues Handy.“ Mit einer solchen Whatsapp-Nachricht beginnt laut Lutz-Schädler eine weitere Betrugsmasche, die stark zugenommen habe. Die Kriminellen geben sich als Angehörige oder Bekannte aus, behaupten, ihre Mobilfunknummer habe sich geändert, und posten einige belanglose Sätze hin und her, um dann um Geld zur Bewältigung einer vermeintlichen Notlage zu bitten.

Die Digitalisierung, so weiß auch Oliver Buttler von der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg, leistet solchen Betrügereien Vorschub. Die Täter hätten Zugriff auf die sozialen Medien, auf Chatverläufe, auf Videos oder Bilder und könnten so wichtige Informationen gewinnen. Sie erführen auf diesem Wege etwa, ob jemand einen Hund hat und fragten dann beispielsweise: „Wie geht es unserem Vierbeiner?“ Oder sie seien über Urlaubsreisen informiert und erkundigten sich danach: „Wie war es denn beim Wandern?“ So würden die Täter mit vermeintlichem Insiderwissen Vertrauen schaffen. Oliver Buttler rät, bei verdächtigen Anrufen sofort den Hörer aufzulegen. Die Täter seien psychologisch geschult, daher könnten Manipulationen im weiteren Verlauf nicht ausgeschlossen werden. Er warnt außerdem davor, Detektiv spielen und die Täter selbst zur Strecke bringen zu wollen. Das könne gefährlich werden.

Gefahr durch Sprach-KIs

Bei Schockanrufen kann laut Buttler auch Künstliche Intelligenz (KI) genutzt werden. 25 Wörter aus Sprachnachrichten oder Videos, die Täter aus Chatverläufen herausziehen könnten, würden ausreichen, um die Stimme des Sprechers mittels KI imitieren zu können. Dadurch erhielten betrügerische Anrufe einen höheren Wahrscheinlichkeitsgehalt. Allerdings werde von diesen Möglichkeiten noch kaum Gebrauch gemacht, teilt das Stuttgarter Innenministerium mit: „Momentan wäre der Einsatz einer Sprach-KI zur Begehung von betrügerischen Anrufstraftaten mit einem erheblichen Aufwand und Kosten verbunden.“

Verhaltenstipps bei betrügerischen Anrufen

Schutz
  Als Prävention gegen Telefonbetrug rät das Stuttgarter Innenministerium, mit der Familie ein Kennwort oder eine Frage zu vereinbaren, die nur von Angehörigen beantwortet werden kann. Außerdem wäre es von Vorteil, die Adresse aus dem Telefonbuch löschen zu lassen. Kriminelle würden in Telefonbüchern nach Opfern suchen.

Anruf
Gehe es bei einem Anruf um Geld, sei stets Misstrauen angebracht, so das Ministerium. Am Telefon sollte nie über finanzielle Fragen oder Zugangsdaten gesprochen werden. Der auf dem Display angezeigten Nummer sollte nicht vertraut werden. Sie könnte manipuliert sein. Kommt einem ein Anruf merkwürdig vor, sollte man sofort auflegen.

Reaktion
Nach einem betrügerischen Anruf sollte die Nummer blockiert und Angehörige unter der bisher bekannten Nummer angerufen werden. Es dürfen niemals Wertgegenstände oder Geld an Unbekannte übergeben werden. Die Polizei sollte unter 110 oder www.polizei-bw.de informiert werden.

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