In der Telekommunikationsbranche hat Europa den Anschluss an die wichtigsten Märkte verloren – im wahrsten Sinne des Wortes. Die USA und Asien sind in Sachen Netzanbindung viel weiter, analysiert Christopher Ziedler.

Brüssel - Dieser Tage ist Neelie Kroes wieder besser gelaunt, wie sie sagt. Nachdem innerhalb weniger Tage der britische Mobilfunkkonzern Vodafone seine Anteile am US-Anbieter Verizon und das finnische Unternehmen Nokia seine Handysparte an den US-Softwareriesen Microsoft verkauft hat, sind viele Milliarden in der Kasse, um in die europäischen Telekommunikationsnetze zu investieren. Das ist nach Ansicht der EU-Kommissarin, in Brüssel für alles Digitale zuständig, bitter nötig.

 

Tatsächlich bietet die Lage der Branche wenig Grund zur Freude – obwohl ihre Dienstleistungen so dringend benötigt werden wie nie zuvor. Der Datenverkehr hat sich allein seit 2008 verfünffacht. In zwei Tagen werden heute weltweit so viele Daten produziert wie im gesamten Jahr 2003. „Trotz des massiven Anstiegs der Nachfrage“, schreibt die EU-Kommission, „sanken die Erlöse, litten die Aktienkurse, ließen die Netzinvestitionen einiger Anbieter zu wünschen übrig und kämpfen manche bis heute mit hohen Schuldenbergen.“ Der Telekomsektor, so die Kurzanalyse der Behörde, befinde sich „in schlechtem Zustand“.

In den Weltregionen, mit denen die Europäer wirtschaftlich im Wettbewerb stehen, ist die Situation anders. In den USA oder Asien haben die Unternehmen den steigenden Bedarf in satte Umsätze und Gewinne verwandelt, die sie teils ins Leitungsnetz stecken, das wiederum neue Geschäftsmodelle ermöglicht. In Europa geben dagegen laut Eurobarometer-Umfrage vier von zehn Unternehmen an, unzufrieden mit ihrer Netzanbindung zu sein – weil der Service zu schlecht oder die Geschwindigkeit zu langsam ist. Beispiel 4G: Die Abdeckungsrate mit dem aktuell schnellsten Standard für Datentransfer aufs Handy beträgt in Europa 26 Prozent, in den USA mehr als 90 Prozent. „Ein Entwicklungsland“ sei die EU auf diesem Gebiet, sagt Neelie Kroes. Den Südkoreanern etwa stehen 98-mal mehr superschnelle Glasfaserleitungen zum Netzsurfen zur Verfügung als den Deutschen.

Vor 20 Jahren war Europa führend

In den 90er Jahren war das noch anders. Da kamen die mobilen Weltmarktführer Nokia und Ericsson aus Europa, wo auch die neuesten Übertragungsnormen wie GSM und 3G entwickelt und eingeführt wurden. Zu Beginn des Jahrtausends jedoch, so die Lesart in der Brüsseler Behörde, hätten die Anbieter zu viel Geld etwa für die UMTS-Lizenzen in Deutschland zahlen müssen, weshalb ihnen weniger Geld geblieben sei, die neuen Netze auch zu entwickeln. „Europa ist zurückgefallen“, sagt Kroes, „und es besteht die Gefahr, dass die Wirtschaftskrise und der Investitionsstau die europäische Wettbewerbsfähigkeit weiter aushöhlen.“ Schließlich werden auch die klassischen Industrien immer digitaler. Das „Internet der Dinge“ soll helfen, Energie zu sparen oder schnell durch den Feierabendverkehr zu kommen. „Die Zukunft unserer Schlüsselindustrien“, warnt Kroes, „hängt an besserer Konnektivität.“

Das nun vorgeschlagene Telekompaket ist nicht der erste Versuch, das Ruder herumzureißen. Vor zwei Jahren schlug die EU-Kommission vor, neun Milliarden Euro in den Haushaltsplan für die Jahre 2014 bis 2020 einzustellen, um die Breitbandnetze auszubauen. In diesem Frühjahr strichen die Staats- und Regierungschefs die Anschubfinanzierung auf eine Milliarde Euro in sieben Jahren zusammen. Offenbar geschockt von der eigenen Kurzsichtigkeit baten sie die Brüsseler Behörde, vor dem nächsten EU-Gipfel Ende Oktober einen Gesetzesvorschlag vorzulegen, um „so schnell wie möglich einen digitalen Binnenmarkt zu schaffen“. Wenn schon öffentliche Investitionen fehlen, so die Logik, will die Politik wenigstens bessere Rahmenbedingungen schaffen.