Bislang mussten Arbeitnehmer zum Arzt, um sich krankschreiben zu lassen. Ein Hamburger Unternehmen bietet nun einen Service per WhatsApp an. Aber ist das wirklich rechtsgültig?

Stuttgart - Wer erkältet ist und einfach nur ein paar Tage im Bett bleiben müsste, nimmt mitunter nur ungern den Gang zum Arzt auf sich. Doch wer länger als drei Kalendertage bei der Arbeit fehlt, muss eine sogenannte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorlegen. Ein Hamburger Unternehmen verspricht nun Abhilfe – und stellt Bescheinigungen via Internet aus. Die wichtigsten Fragen und Antworten dazu.

 

Wie funktioniert die Krankschreibung per Handy?

Läuft die Nase? Kopfschmerzen? Gliederschmerzen? Der Dienst AU-Schein.de fragt auf seiner Internetseite zunächst typische Erkältungssymptome ab. Wenige Stunden später bekommt man dann – nach der Eingabe von Adress- und Krankenversicherungsdaten – die Krankschreibung per WhatsApp als Fotokopie aufs Handy. Ausgestellt wird sie von einem teilnehmenden Arzt. Die Krankschreibung in Papierform und die Version für die Krankenkasse kommen wenige Tage später mit der Post.

Warum bietet der Dienst das nur für Erkältungskrankheiten an?

Die häufigsten Kurz-Krankschreibungen in Deutschland werden für Erkältungen ausgestellt – im Schnitt bis zu dreimal pro Jahr für jeden Deutschen. Can Ansay, Rechtsanwalt und Anbieter des Online-Dienstes, ist der Meinung, „dass Erkältungen sehr ungefährlich sind, sich leicht anhand von einem Frage-Antwort-Katalog diagnostizieren lassen und meist einfach nur auskuriert werden müssen“. Arbeitnehmer brauchen hierfür aber – je nach Arbeitgeber – ab dem ersten, zweiten oder dritten Krankheitstag eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (AU-Schein). Und die gab es bislang nur nach einem persönlichen Arztbesuch.

Müssen Arbeitgeber eine Krankschreibung per Handy akzeptieren?

Seitenbetreiber Ansay vertritt den Standpunkt, dass eine Krankschreibung per WhatsApp über das seit 2018 gelockerte Gesetz zum Fernbehandlungsverbot im Zuge der Telemedizin erlaubt ist. Das müssten sowohl Arbeitgeber als auch Krankenkassen akzeptieren. Die Landesärztekammer Baden-Württemberg dagegen sieht das Verfahren aus medizinischen Gründen kritisch: Das standardisierte Abfragen von Symptomen ohne individuelle Nachfragen des Arztes sei keine ärztliche Untersuchung und falle deshalb nicht unter die Idee der Fernbehandlung. „Dabei sollte die ärztliche Untersuchung, Diagnose und Therapie im Mittelpunkt stehen und nicht die reine Krankschreibung in Form eines kommerziellen Angebots“, sagt Oliver Erens von der Landesärztekammer Baden-Württemberg. Ansay widerspricht: „Die Ärzte haben sehr wohl die Möglichkeit über WhatsApp oder per Telefon Rückfragen zu stellen und machen das auch.“

Können Arbeitgeber und Krankenkassen überhaupt erkennen, dass es sich um eine Handy-Krankschreibung handelt?

Nicht direkt. Zum Start des Angebots haben die Ärzte den Zusatz „Tele-AU“ für die telemedizinische Krankschreibung in das Arztadressfeld auf der Krankschreibung geschrieben. Inzwischen steht dort nur noch die Adresse des Arztes. Hat dieser seinen Sitz fernab der Heimat des Patienten, kann ein Arbeitgeber zwar weiterhin vermuten, dass es sich um eine telemedizinische Krankschreibung handelt. „Ich bezweifle aber, dass eine solche Vermutung vor Gericht große Beweiskraft hätte, wenn es wirklich zu einem Prozess um die Glaubwürdigkeit der Krankschreibung käme“, sagt Ansay.

Kostet der Handy-Service etwas?

Ja AU-Schein.de verlangt dafür neun Euro pro Attest. Die Begründung: Noch können Ärzte die Online-Krankschreibung nicht über die gesetzlichen Krankenkassen abrechnen. Auch Patienten können sich diese Kosten nicht von den gesetzlichen Kassen erstatten lassen.

Erleichtert eine reine Online-Krankschreibung nicht das Blaumachen?

Der Seitenbetreiber Can Ansay ist der Meinung, dass Patienten Ärzten auch im persönlichen Gespräch Symptome wie Kopfschmerzen vorflunkern können. Zudem verweist er auf Studien aus Norwegen. Dort können sich Arbeitnehmer für einige Tage einfach selbst krankschreiben – und haben seit Einführung dieser Regelung weniger Fehltage als früher. Um möglichem Missbrauch dennoch einen Riegel vorzuschieben, kann die Handy-Krankschreibung nur maximal zweimal pro Jahr für maximal drei Tage in Anspruch genommen werden.

Lesen Sie hier: Was es bei Krankschreibungen zu beachten gilt

Wie sieht es mit dem Datenschutz aus?

Die Seite holt sensible Daten wie Krankheitssymptome der Patienten zusammen mit personenbezogenen Daten wie Name, Adresse und Versicherungsnummer ein. Laut der Datenschutzerklärung auf der Internetseite des Anbieters werden aber nur die WhatsApp-Telefonnummer sowie die Email-Adresse bei AU-Schein.de gespeichert. Die anderen Daten werden demnach nur an den Arzt übermittelt, der das Attest ausstellt. Offen bleibt die Frage, wie sicher WhatsApp grundsätzlich ist. Der Landesbeauftragte für Datenschutz in Niedersachsen ist etwa der Meinung, dass die Übermittlung von Gesundheitsdaten per WhatsApp der Datenschutzgrundverordnung widerspricht. Beschäftigt hat er sich jedoch nicht mit dem Fall von Au-Schein.de, sondern mit Apotheken, die Patienten den Service anbieten, ihre Rezept per WhatsApp-Foto an Apotheken zu schicken.

Gibt es andere Ansätze, sich ohne Arztbesuch krankschreiben zu lassen, die rechtlich weniger fragwürdig sind?

In der Schweiz können Patienten seit Jahren telefonische Beratungsgespräche mit Ärzten führen, die in Callcentern sitzen. Wenn der Arzt es für nötig hält, kann er einen Patienten nach einem solchen Gespräch auch krankschreiben oder ihm ein Rezept verordnen – weil die rechtlichen Grundlagen dafür gegeben sind. „Das mit dem individuellen Gespräch ist auf jeden Fall positiv, denn selbst hinter einer Erkältung kann eine ernsthafte Erkrankung stecken, die der Arzt nur durch gezielte Fragen erkennen kann“, sagt Oliver Erens von der Landesärztekammer Baden-Württemberg.