Der Verrat liegt anderthalb Jahre zurück, lange hat Franz Untersteller nach jener Person gesucht, die ihn beging. Jetzt, da er aufgeben wollte, kommt er diesem Ziel womöglich nahe. Es wäre ein Vorgang, der die Stimmung in der grün-schwarze Koalition im Land trüben könnte.

Am 28. November 2020 wurde der damalige Umweltminister auf der Autobahn von Stuttgart in Richtung Karlsruhe bei einer, nun ja, Schnellfahrt ertappt. Der Grünen-Politiker war in privater Mission unterwegs, er hatte es eilig. Die Straße war frei, schwuppdiwupp zeigte die Tachonadel des Audi A4 177 Kilometer pro Stunde – ausgerechnet dort, wo nur 120 erlaubt gewesen wären. Das Ergebnis: vier Wochen Fahrverbot, zwei Punkte und ein deftiges, für einen Minister aber verkraftbares Bußgeld.

 

Als schlimmer empfand Franz Untersteller den öffentlichen Pranger, der errichtet wurde, als die Sache aufflog. Irgendjemand hatte die Tempofahrt widerrechtlich an die „Bild“-Zeitung durchgestochen. Für das Blatt war das ein Fressen: Ein prominentes Mitglied jener Partei, die öffentlich ein allgemeines Tempolimit auf Autobahnen vertritt, wird beim Rasen erwischt. Ein Umweltminister sogar! Die Reaktionen fielen deutlich aus: Hohngelächter in den sozialen Medien, eine unangenehme Landtagsdebatte. Philipp Bürkle, damals Landeschef der Jungen Union und heute Büroleiter des CDU-Fraktionschefs Manuel Hagel, forderte Untersteller umgehend auf, sein Amt aufzugeben: „Wasser predigen und Wein saufen – das ist grüne Doppelmoral pur.“ Vor der Landtagswahl im März 2021 kam die Affäre für die CDU wie gerufen.

Die Spur führt zur CDU

Untersteller beschlich früh der Verdacht, dass die Skandalisierung seines Verkehrsvergehens mit der Wahl zu tun haben könnte. Über die Datenschutzbeauftragten des Polizeipräsidiums Pforzheim, des Regierungspräsidiums Karlsruhe sowie des Innenministeriums hoffte er, den Informanten der „Bild“-Zeitung zu fassen zu bekommen. Vergebens. Auch der Landesdatenschutzbeauftragte Stefan Brink nahm sich der Sache an. Ebenfalls erfolglos. Allerdings waren zum Zeitpunkt von Brinks Anfrage im Innenministerium die Protokolldaten über die Zugriffe auf die Informationen bereits gelöscht.

Recherchen der Stuttgarter Zeitung legen nahe, dass jenseits des Innenministeriums eine weitere, keinesfalls zuständige Person von Unterstellers Tempofahrt wusste: der damalige CDU-Generalsekretär und Wahlkampfmanager Manuel Hagel. Nach Angaben einer mit den Vorgängen vertrauten Person war Hagel vor der „Bild“-Veröffentlichung im Bilde – unzulässigerweise zwar, dafür aber an der Sache lebhaft interessiert.

Hagel stößt auf Widerspruch

Hagel verfügt über beste Kontakte ins Innenministerium – keineswegs nur zu Innenminister Thomas Strobl. Der CDU-Landeschef hatte den jungen, ehrgeizigen Hagel aus der oberschwäbischen Abgeschiedenheit in die Parteizentrale geholt. Hagels Netzwerk aus der Jungen Union reicht bis in den Leitungsstab des Innenministeriums hinein. Auf den Sachverhalt angesprochen, sagt Hagel heute, der „Bild“-Artikel sei ihm „natürlich bekannt“. Hagel – das ist der Punkt – bestreitet nicht, schon vor der Medienveröffentlichung von dem Bußgeldverfahren gehört zu haben. Damals sei, so teilt er unserer Redaktion mit, „das Thema von Herrn Untersteller schon vorher auf den Fluren des Landtags ein offenes Geheimnis“ gewesen. Von wem er davon hörte, ist ihm nicht erinnerlich. Dem widerspricht Untersteller vehement. Er sagt, außer ihm habe nur seine Frau von der Sache Kenntnis gehabt – und natürlich die Polizei und das Innenministerium. Grünen-Fraktionschef Andreas Schwarz bekundet, im Vorhinein über keine Hinweise auf Unterstellers Verkehrsvergehen verfügt zu haben. FDP-Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke sagt: „Mir und meiner Fraktion zumindest wurde diese Tempofahrt erst durch die Veröffentlichung bekannt.“ Die SPD-Fraktion meldet: „Als die ‚Bild‘ über die Temposünde von Franz Untersteller berichtete, hatte noch niemand in der SPD-Fraktion auch nur gerüchteweise davon gehört.“

Auch Innenminister Strobl besteht darauf, von der Sache nichts gewusst zu haben. Allein schon deshalb habe er auch nichts an die Presse durchstechen können, sagte er unserer Zeitung. Über Strobl kennt Hagel einen der drei Autoren der „Bild“-Veröffentlichung. Dabei handelt es sich um einen Journalisten aus der Berliner Parlamentsredaktion des Blatts, der – durchaus unüblich für die Hauptstadtjournaille – bei der CDU-Klausur in Kloster Schöntal auftauchte. Hagel ist heute Vorsitzender der CDU-Landtagsfraktion mit Ambitionen auf Höheres.

Wer wusste dienstlich von Unterstellers Verkehrsdelikt?

Behörden
 Franz Untersteller wollte es wissen: Wer hatte die Information über sein Verkehrsdelikt an „Bild“ gegeben? Der Pforzheimer Polizeichef Wolfgang Tritsch versicherte ihm auf Nachfrage: Wir waren es nicht. Und die Meldung an das Regierungspräsidium Karlsruhe war ohne Hinweis auf Unterstellers Ministeramt erfolgt.

Innenministerium
Im Ressort von Innenminister Thomas Strobl (CDU) lief die Meldung der Pforzheimer Polizei zu Unterstellers Verkehrsdelikt im Lagezentrum auf. Weitere Stationen waren nach Angaben des Datenschutzbeauftragten des Hauses: die „Leitung/Referenten des zuständige Sachbereichs“, die Polizeiabteilung inklusive des Inspekteurs der Polizei sowie des „zuständigen Staatssekretärs“ (das ist der Landtagsabgeordnete Wilfried Klenk). An Klenk lief die Information über die Spiegelreferentin des Leitungsstabs. Strobl war nicht in der Meldekette. Er sagt, er habe von der Sache über die Medien erfahren.