Die Terrassenhäuser am Schlossgut in Hemmingen werden 40 Jahre alt. Dem Amt für Denkmalschutz sind die Stahlbetonbauten so wichtig, dass es sie unter Schutz gestellt hat. Die Bewohner finden den Anblick der Häuser dagegen nur bedingt schön.

Früh haben die Bewohner der Terrassenhäuser in Hemmingen in diesem Jahr den Frühling genießen können. Bereits Ende Februar war es so warm, dass auf den Balkons an der Varnbühler Straße die Gartenliegen ausgeklappt, die Töpfe bepflanzt und die Blumenkästen in Position gebracht wurden. Auch Peter Vetter war früher dran, schließlich gibt es viel zu tun. 24 Quadratmeter misst sein Balkon und zählt damit zu den großen im Haus – manche Reihenhäuser haben kaum größere Gärten. Zufrieden steht der Anfangssiebziger in seinem Reich. „Hier lässt es sich aushalten“, sagt er. Durch die Südwestlage können er und seine Frau die Sonne optimal nutzen. „Der Balkon ist wie ein zusätzliches Zimmer.“ So dauert der Sommer bei ihm und seinen Nachbarn vielleicht ein bisschen länger als anderswo im Ort. Doch genug gelobt. „Warten wir mal ab, was das in den kommenden Jahren kosten wird“, sagt Vetter und schaut mit besorgtem Blick auf die Geschosse über seiner Eigentumswohnung. Die Balkone, das Juwel der Terrassenhäuser, seien zwar toll zum Sitzen in lauen Sommernächten. „Aber jetzt, nach 40 Jahren, müsste man an den meisten einmal was tun“, findet Vetter. Er und seine Frau haben ihren vor einiger Zeit sanieren lassen: alles abgedichtet, die Waschbetonplatten raus und einen neuen Boden drauf.

 

Wer Bilder aufhängen will, braucht eine Schlagbohrmaschine

Glaubt man den Werbeprospekten, die der Bauträger Industrie- und Wohnbau (IWB) aus Heilbronn einst druckte, sind die Terrassenhäuser ein Werk für die Ewigkeit. Mehr als 100 000 Tonnen Stahlbeton seien verbaut worden. Sollte es in Hemmingen jemals ein Erdbeben geben, fielen die schwarzen Häuser mit den weißen Hängebalkonen als letzte. So viel Stahl war nötig, um der geschwungenen, nach hinten kippenden Konstruktion der Häuser Stabilität entgegenzusetzen. Die Bewohner spüren dies noch heute: Ohne Schlagbohrmaschine kann man keinen Bilderrahmen aufhängen. „Eigentlich braucht man dafür Sprengstoff“, sagt Walter Keck, einer von ihnen. Karsten Schüler, Geschäftsführer der Bietigheimer Wohnbaugesellschaft, die seit einem Jahr die Terrassenhäuser verwaltet, macht sich weniger Sorgen als Peter Vetter. „Die Häuser und die Balkone sind insgesamt in einem guten Zustand.“ Nicht mal nachträglich dämmen müsse man die beiden Gebäude an der Varnbühler Straße 2 und 4, denn das sei schon damals, während des Baus, passiert.

Von den „hängenden Gärten von Hemmingen“ schrieben Anfang der 70er-Jahre einige Zeitungen, von „Himmelsleitern“ andere. Je nach Standpunkt auch von „Westentaschenwolkenkratzern“. In jedem Fall: die massive Aufsiedlung, die manche Kommunen, so auch Hemmingen, vor 40 Jahren betrieben, um ihre Selbstständigkeit zu bewahren – sie war nicht nur ein Thema des Lokalteils. Unter dem Titel „Verbaute Landschaften“ nahm sich die Stuttgarter Zeitung im Feuilleton des Baubooms im Mittleren Neckarraum an. Serienteil 13 ist der Skyline des Wohnparks Schlossgut gewidmet. Heftig beklagt sich der Autor darin über die „Vergewaltigung eines gewachsenen Orts- und Landschaftsbildes“, die Hemmingen für diejenigen, die von Schwieberdingen kommen, „seine Unschuld raubt“: „Rechts das alte Bauerndorf, bis auf die Kirchturmspitze hinter Bäumen versteckt, daneben die vielgeschossigen Hüttenwerke, ein schwarz-braun-rotes Betongebirge“ mit seinen „Renditesilos“.

Auch die Bewohner der „Renditesilos“ sehen heute die Skyline mit gemischten Gefühlen. Helmut Hornung gehört wahrscheinlich zu den Hausältesten. Schon im Herbst 1973, die Anlage war noch eine Baustelle, zog der heute 74-Jährige mit Frau und Kind aus Stuttgart nach Hemmingen in die Varnbühler Straße. Ein Arbeitskollege hatte ihm Bescheid gegeben. Hornung kam, besichtigte die Baustelle, dann die Gemeinde, studierte den Prospekt und befand: praktisch, geräumig und bezahlbar. „Von außen gefällt mir die Ansicht nach wie vor nicht“, sagt er. Doch die Lebensqualität der Wohnungen sei hoch, die Gebäudequalität zufriedenstellend. Zumal Hornung während seiner Berufstätigkeit kaum ein Auge für die Anlage hatte. „Ich bin früh zur Arbeit gefahren und kam spät zurück.“ Seine Frau hatte einen kurzen Fußweg in den Ort, die Kinder hatten Platz zum Spielen – darauf kam es ihm an. Dass die IWB damals warb, dass „57 Dipl.-Ingenieure, Konstrukteure und Techniker, 71 leitende und kaufmännische Angestellte und 18 Beamte“ zu seinen Nachbarn gehörten – einschließlich des einstigen VfB Stuttgart Torwarts Gerhard Heinze – war Hornung egal. Nur soweit: diese Belegung versprach eine ruhige Nachbarschaft. Diesem Diktum passten sich wohl auch die Prostituierten an, die gegen Ende der 70er-Jahre in der Varnbühler Straße 2 ihre Dienste anboten. Das horizontale Gewerbe sei erst aufgefallen, als es unten vor dem Haus zu Parkplatznot kam, erzählt man sich. „Nach ein paar Monaten war das dann vorbei“, so Hornung.

Der Denkmalschutz kommt nicht nur gut an

Seit 2012 stehen die Terrassenhäuser unter Denkmalschutz. Denn die beiden Gebäude seien „zukunftsweisende Bauten“ ihrer Zeit, so steht es in der Begründung des Landesamt für Denkmalschutz in Esslingen. Sie zeigten die „eigenwillige und ausdrucksstarke Formensprache“ ihres Erschaffers, des Stuttgarter Architekten Paul Stohrer. Doch viele Bewohner der Varnbühler Straße 2 und 4 sind alles andere als glücklich, in einem Denkmal zu wohnen. Zumindest Peter Vetter und Walter Keck nicht. Beide Männer sitzen im lichtdurchfluteten Wohnzimmer der Kecks und genießen die Aussicht auf die Felder des Strohgäus. Allerdings: die Fenster der Kecks sind noch die originalen. „Wenn Sie die auswechseln wollen, wird das nun zum Problem“, sagt Vetter. Er hat seine Fenster bereits vor einiger Zeit machen lassen. „Aber Sie müssten jetzt dafür beim Denkmalamt nachfragen“, sagt er zu Keck. Als Vorsitzender des Verwaltungsbeirates kommt Vetter viel herum in den Häusern. In einigen Wohnungen stehen Sanierungen an. „Das wird noch viel Ärger geben.“

Aber erst mal steht irgendwann in diesem Frühjahr der Jahrestag an, die Terrassenhäuser werden 40 Jahre alt. Wann man diesen Tag genau begehen könnte, weiß niemand so genau. Aber da ließe sich ein Datum finden – wenn man denn ein Fest feiern wollte. Peter Vetter ist skeptisch. „Jedenfalls nicht mehr im Trockenraum“, sagt er. Dort wurden früher 4 die Versammlungen abgehalten. Aber da hallt es zu stark. „Wenn sich spontan was ergibt“, bleibt Vetter im Ungefähren. „Da ergibt sich nichts“, wehrt Ursula Tronich ab. Sie gehört zu den Urgesteinen des Wohnparks Schlossgut, ist mit Mann und Kindern bereits Anfang der 70er Jahre in eines der Nachbarhäuser eingezogen, in die Münchinger Straße 20. Ihr Haus hat seinen Schwabengeburtstag schon hinter sich. Im Sommer hat ein Grüppchen Mitbewohner gefeiert. Nichts Großes mit Bierzeltgarnituren und Fassbier, sondern ein zwangloses Picknick in der Grünanlage. Es war wirklich sehr nett, sagt Tronich. Allerdings: „Da saßen die gleichen zwölf Hanseln, mit denen man sonst auch spricht.“ Literaturkreise oder andere Treffs, wie es sie etwa in der Trabantenstadt Asemwald im Stuttgarter Süden gibt existieren in Hemmingen nicht. Vetter nickt. Knatsch gebe es keinen, doch eine enge Hausgemeinschaft habe sich in all den Jahren nicht entwickelt. Selbst mit langjährigen Nachbarn sei man in der Regel per Sie. Ein Schlossgut-Bewusstsein gebe es nicht, weil sich dessen Bewohner in Richtung Ort orientierten. „Damals kamen die Vereine hierhin und haben sich vorgestellt“, erinnert sich Tronich. Deswegen sei der Wohnpark nicht zum geschlossenen Ortsteil innerhalb der Gemeinde geworden. Sie und Vetter finden diese Entwicklung eigentlich gut. Auch Helmut Hornung. „Ein bisschen Abstand“ sei bei derart komprimiertem Wohnen nicht von Nachteil.