Nach dem Attentat auf die Universität der Provinzhauptstadt Garissa, bei dem 148 Menschen getötet wurden, droht nun eine Spaltung des kenianischen Volkes.

Nairobi - Vier Tage nach einem der blutigsten Terroranschläge in der Geschichte Kenias steht die Bevölkerung des ostafrikanischen Staates weiter unter Schock. Bei vielen Kenianern löste die Nachricht Entsetzen aus, dass es sich bei einem der mindestens vier Täter, die vergangenen Donnerstag fast 150 Studenten in der Universität der Provinzhauptstadt Garissa meuchelten, um den Sohn eines lokalen Regierungsvertreters handelte.

 

Der 24-jährige Mohammed Abdirahim Abdullahi wurde von Bekannten als „brillanter Jurastudent“ beschrieben: Der „Massenmörder mit dem unschuldigen Gesicht“ soll sogar Anführer der Terrorgruppe gewesen sein.  Abdullahi wurde von Kommilitonen erkannt, nachdem das kenianische Militär die Leichen der vier Angreifer durch Garissas Straßen trugen. Sein Vater Abdullahi Daqare, der im nordostkenianischen Mandera-Distrikt einer Gemeinde vorsteht, hatte im Vorjahr das Verschwinden Abdullahis gemeldet. Da sich sein Sohn mehrmals aus dem Nachbarland Somalia meldete, vermutete er, dass sich dieser der mit Al-Kaida verbündeten Al-Schabab-Miliz angeschlossen hatte.

Kommilitonen der Kenyatta-Universität in Nairobi beschrieben Abdullahi als einen stets gut gekleideten Studenten, der gerne Billard spielte. „Er trug Anzüge, die bis zu 16 000 Shilling (umgerechnet rund 160 Euro) kosteten“, und habe zudem stets einen „äußerst vernünftigen Eindruck“ gemacht, erinnert sich Dedan Wachira. „Ich bin völlig verblüfft, dass er dermaßen radikal geworden sein soll.“ Womöglich wurde der Einserstudent bereits in der islamischen Wamy-Schule in Nairobi radikalisiert, die auf ihrer Website als Mission beschreibt, „eine exzellente islamische und säkulare Bildung“ zu vermitteln. Mindestens zwei weitere Abgänger der Schule sollen sich Al-Schabab beziehungsweise dem Islamischen Staat in Syrien angeschlossen haben.   Kenias Präsident Uhuru Kenyatta hatte bereits am Samstag davon gesprochen, dass die Täter „tief in der kenianischen Gesellschaft“ verwurzelt seien.

Angst vor Einschränkung der bürgerlichen Rechte

Er kündigte eine scharfe Reaktion an. Bereits in der Nacht zum Montag flogen kenianische Jets Angriffe auf vermeintliche Al-Schabab-Lager im Westen Somalias. Unterdessen hielt die Kritik an der verspäteten Reaktion der Sicherheitskräfte am Tag des Überfalls an. Erst mehr als acht Stunden nach Beginn des 15-stündigen Gemetzels sollen erste Eliteeinheiten von Nairobi nach Garissa verlegt worden sein: Offenbar mussten die Soldaten auf geeignete Flugzeuge warten. Fünf Personen, die mit dem Anschlag in Zusammenhang gebracht werden, wurden inzwischen festgenommen. Drei von ihnen, die an der Planung beteiligt gewesen sein sollen, wurden nach Polizeiangaben beim Versuch verhaftet, nach Somalia zu fliehen.   Experten befürchten, dass die kenianische Regierung das Blutbad zum Anlass für eine massive Einschränkung der bürgerlichen Rechte nehmen könnte. Der Präsident war vor wenigen Wochen daran gescheitert, die Sicherheitsgesetze drastisch zu verschärfen: Die Novelle wurde von einem Gericht als verfassungswidrig zurückgewiesen. Auch die labile Koexistenz zwischen den Christen, die 83 Prozent der Bevölkerung ausmachen, und den Muslimen könnte gefährdet werden, fürchten Kenner des Staates.

Schon nach dem Attentat auf das Westgate-Einkaufszentrum in Nairobi im September 2013 kam es zu Übergriffen der Sicherheitskräfte auf die somalisch-stämmige Bevölkerung.   Zwischen den Kenianern somalischer Abstammung im Osten des Landes und den Christen, die vor allem im Zentrum und Westen leben, besteht ein erhebliches Gefälle im Lebensstandard. Während es im Osten und Norden Kenias kaum geteerte Straßen und keine nennenswerte Industrie gibt, boomt das Zentrum um die Hauptstadt Nairobi. Al-Schababs Taktik sei, einen Keil zwischen die Bevölkerung zu treiben, kommentiert der ehemalige somalische Abgeordnete Mohamed Amin.

In weiten Teilen des Landes fanden christliche Gottesdienste am Ostersonntag nur unter Polizeischutz statt. Nairobis anglikanischer Erzbischof Eliud Wabukala rief die Kenianer zur Einheit auf. Auch Kenias muslimischer Führer suchte den religiösen Spannungen entgegenzuwirken: Al-Schabab wolle einen Religionskrieg vom Zaun brechen, sagte Hassan Ole Naado: „Alleine deshalb müssen wir zusammenstehen.“ Bei ihrem Angriff hatten die Terroristen muslimische von christlichen Studenten getrennt: Während sie Erstere laufen ließen, erschossen sie die Christen.