Reportage: Frank Buchmeier (buc)



Der Richter Prinzing scheint mit der Prozessführung überfordert gewesen zu sein.
Die Angeklagten und die Anwälte suchten die Konfrontation mit uns Richtern, zuvorderst mit Dr. Prinzing. Es wurde von Beginn an nicht herkömmlich strafrechtlich verteidigt, sondern politisch agitiert. Zu dieser Strategie gehörte, den Vorsitzenden Richter fertigzumachen. Wir Richter waren aus Sicht dieser selbst ernannten Revolutionäre die Speerspitze des verhassten Schweinesystems, das sie bekämpften. Einer der Verteidiger, Rupert von Plottnitz, kommentierte einen Gerichtsbeschluss mit den Worten „Heil Dr. Prinzing!“ Der Nazi- und Faschismusvorwurf ist absurd: Prinzing war bei Kriegsende 19 Jahre alt.

Prinzing machte einen gravierenden Fehler und wurde am 174. Verhandlungstag wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt.
Er hatte den Pflichtverteidiger eines Angeklagten angerufen, der einst Referendar bei ihm gewesen war. Dieser Vorfall ist darauf zurückzuführen, dass man Dr. Prinzing systematisch zermürbt hatte.

Am Ende des zwei Jahre dauernden Prozesses steht am 28. April 1977 das zu erwartende Urteil: lebenslänglich für alle Angeklagten wegen Mittäterschaft bei sechs Bombenanschlägen mit vier Toten und zahlreichen Verletzten. Ulrike Meinhof lebt zu diesem Zeitpunkt bereits nicht mehr, sie hat sich im Mai 1976 am Fenster ihrer Zelle erhängt. Gudrun Ensslin, Andreas Baader und Jan-Carl Raspe folgen ihr 16 Monate später in den Tod. Die Umstände führen dazu, dass der Mythos RAF weiterlebt.

Baader und Raspe haben sich in der Nacht zum 18. Oktober 1977 in ihren Zellen erschossen. In den Besitz der Pistolen sind sie bereits während des Prozesses gekommen. Lässt sich diese Merkwürdigkeit erklären?
Die Rechtsanwälte kamen durch einen gesonderten Eingang in das Gerichtsgebäude und wurden dort kontrolliert. Wir wussten ja, dass manche nicht nur ihre Klienten verteidigen wollten. Sie wurden abgetastet und ihre Taschen durchleuchtet, wie man es vom Flughafen kennt. Bei den Aktenordnern piepste es, was den Wachtmeistern nicht verdächtig vorkam, weil darin Metallbügel sind. So bemerkte niemand, dass die Pistolen in Einzelteile zerlegt in ausgehöhlten Papierstapeln versteckt waren. Im Gerichtssaal wurden die Ordner den Angeklagten übergeben. Der entscheidende Fehler ist anschließend passiert: Man hat die Angeklagten nicht nochmals gründlich durchsucht, bevor sie ins Gefängnis zurückgebracht wurden.

Das klingt nach staatlicher Schlamperei.
Die Rechtsanwälte Arndt Müller und Armin Newerla, die die Waffen und andere verbotene Gegenstände in den Gerichtssaal geschmuggelt hatten, wurden von meinem Senat später rechtskräftig verurteilt.

Während der Prozess lief, wurden im Gefängnis Gespräche zwischen den Angeklagten und ihren Verteidigern abgehört. Dieses Vorgehen führte auch nicht dazu, dass das Vertrauen in die Staatsmacht wuchs.
Wir Richter waren entsetzt. Das war die größte Krise des Prozesses. Ich erfuhr in der Mittagspause eines Verhandlungstages aus dem Radio von der Abhöraffäre. Wir verlangten sofort von den beteiligten Regierungsstellen volle Aufklärung der Vorgänge und eine Garantie, dass so etwas nicht mehr passiert. Erst dann haben wir weiterverhandelt. Hintergrund der Abhöraktion war, dass die Polizei nach dem Anschlag auf die deutsche Botschaft in Stockholm weitere Attentate verhindern wollte. Die Justiz war daran nicht beteiligt.

Für den Baader-Meinhof-Prozess wurden neue Paragrafen geschaffen, zum Beispiel durfte erstmals in Abwesenheit der Angeklagten weiterverhandelt werden. Warum?
Es war absehbar, dass die Angeklagten das Verfahren sabotieren werden, indem sie sich verhandlungsunfähig machen. Nach der alten Gesetzeslage hätten sie den Prozess durch einen Hungerstreik platzen lassen können. Der Gesetzgeber musste reagieren. Natürlich wurden die neuen Gesetze von linken Ideologen kritisiert.

Mit einem guten Argument: gegen Naziverbrecher wurde nur verhandelt, wenn diese verhandlungsfähig waren.
Wenn man bei früheren Gesetzen und Verfahren etwas falsch gemacht hat, darf daraus nicht folgen, dass man diesen Fehler wiederholen muss. Außerdem gibt es einen entscheidenden Unterschied: Die NS-Verbrecher waren verhandlungsunfähig, weil sie alt, gebrechlich und krank waren; die RAF-Täter waren jung und gesund, sie haben sich mutwillig verhandlungsunfähig gehungert, zumindest waren die Hungerstreiks mitursächlich.

Die RAF-Anwälte haben gegen das Urteil Ihres Senats Revision eingelegt. Angenommen, die Angeklagten hätten sich nicht das Leben genommen: Hätte das Urteil überhaupt Bestand gehabt?
Ich bin davon überzeugt, dass der Bundesgerichtshof das Urteil nicht aufgehoben hätte. Aber Ihre Frage ist ja ohnehin hypothetisch: Baader, Meinhof, Ensslin und Raspe starben vor der BGH-Entscheidung. Unser Urteil konnte somit gar nicht rechtskräftig werden. Auch das gehört zu den Besonderheiten dieses Verfahrens.