Reportage: Frank Buchmeier (buc)
Stuttgart galt als liberal. Diesem Politikstil haben Sie sich angepasst. Warum?
Bevor ich Leiter der Stuttgarter Schutzpolizei wurde, war ich 1972 bei den Olympischen Spielen in München Stabsleiter des Ordnungsdienstes. Zuvor hatte es in Deutschland harte Auseinandersetzungen zwischen Polizei und Demonstranten gegeben mit zahlreichen Verletzten auf beiden Seiten. Daraufhin beschloss der Münchner Polizeipräsident einen Strategiewechsel. In Zusammenarbeit mit Psychologen wurde ein deeskalierendes Sicherheitskonzept erarbeitet. So trugen die Polizisten vor Ort keine Waffen, dafür hellblaue Anzüge und weiße Schildmützen. Dieses zurückhaltende Auftreten der Staatsmacht hat mein Wirken in Stuttgart maßgeblich beeinflusst.
Ich verbinde die Olympischen Spiele 72 vor allem mit einem Attentat.
Der Anschlag durch palästinensische Terroristen auf die israelische Delegation ändert nichts daran, dass unser Ansatz richtig war. Das Attentat wäre nur zu verhindern gewesen, wenn man die Olympischen Spiele hinter Stacheldrahtzäunen und mit schwer bewaffneten Polizisten veranstaltet hätte. Dies war schon aufgrund unserer Geschichte undenkbar. Natürlich verschärfte dieses Ereignis die Sicherheitslage: Nach München mussten wir davon ausgehen, dass jede Großveranstaltung mit einem hohen Anschlagrisiko behaftet ist. Auch in Stuttgart spürten wir die allgemeine Verunsicherung, etwa bei den Partien der Fußball-WM 1974.
Hatten Sie genügend Personal und Ausrüstung, um Ihre Aufgaben zu erfüllen?
Ja, die zuvor sehr schlecht ausgestattete Stuttgarter Polizei wurde in kurzer Zeit hochgerüstet. Wir bekamen vom Land alle Wünsche erfüllt. Rund um die Uhr waren bis zu 100 zugeordnete Beamte aus allen Bundesländern und vom Bundesgrenzschutz in der Stadt präsent. Stuttgart wurde dadurch sicherer als jede andere deutsche Metropole. Allerdings mussten wir feststellen, dass sich dadurch statistisch gesehen die Kriminalität in die umliegenden Landkreise verlagerte.
Das Bundeskriminalamt führte die sogenannte Rasterfahndung ein. War das ein Schritt in Richtung Überwachungsstaat?
Die Rasterfahndung war unumgänglich, endlich wurden Personendaten per Computer abgeglichen. Die Polizei benötigt einen solchen Fundus an Informationen, um gezielt vorgehen zu können.
Auch die Beerdigung von Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe im September 1977 nutzten Sie, um Informationen zu sammeln: Alle Trauergäste wurden kontrolliert. Man könnte das pietätlos nennen.
Wir wussten, dass die Zahl der RAF-Sympathisanten ständig zunahm. Nach der Bestattung haben wir außerhalb des Dornhaldenfriedhofs die Personalien festgestellt. Übrigens wurde die Beerdigung nicht von der Polizei gestört, sondern von den Demonstranten, die ihre Parolen grölten, so dass man nicht mal den Pfarrer verstehen konnte, als er das Vaterunser betete.
Wenige Tage später wurde Schleyer beigesetzt in Anwesenheit zahlreicher Spitzenpolitiker und Wirtschaftsbosse. Wie konnten Sie dieses Ereignis vor Anschlägen schützen?
Morgens um vier haben wir sämtliche Funkfrequenzen durchprobiert. Wäre irgendwo in der Stadt ein scharfer Sprengsatz gewesen, ob im Hotel Graf Zeppelin oder im Hauptbahnhof, wäre er hochgegangen. Wir mussten dieses Risiko eingehen, denn der schlimmste anzunehmende Fall war ein Anschlag auf die Trauerfeier. Jeder Gully wurde kontrolliert, auf Dächern waren Präzisionsschützen positioniert, und am Himmel kreisten Hubschrauber. Dieser Tag war der Höhepunkt einer schlimmen Zeit. So etwas hatte die Stuttgarter Polizei noch nicht erlebt und wird sie hoffentlich auch nie mehr erleben.