Facebook kann die Flut des Tätervideos nicht bremsen. Das Verbreiten Gewalt verherrlichender Schriften, Bilder und Videos kann mit bis zu einem Jahr Gefängnis geahndet werden – theoretisch.

Stuttgart - Die grässliche Tat von Christchurch, der Anschlag auf zwei Moscheen mit 50 Toten, hat auch eine Debatte über soziale Medien und die Verbreitung von gewaltverherrlichenden Darstellungen ausgelöst. Dass der Täter mit einer Helmkamera ausgestattet war und sein Morden live auf Facebook ins Netz stellte, wo es 17 Minuten lang zu sehen war, erschüttert erneut den Glauben in eine Selbstkontrolle der sozialen Netzwerke.

 

Laut Facebook sind binnen 24 Stunden nach der Tat 1,5 Millionen Kopien des Tatvideos gelöscht worden. Doch laut Experten ist davon auszugehen, dass das Gewaltvideo in der Zwischenzeit millionenfach kopiert und auf Twitter, Instagram und Youtube geteilt worden ist. Die Medienwissenschaftlerin Julia Schumacher forderte die sozialen Netzwerke im „ZDF“ dazu auf, mit bestimmten Such-Algorithmen die Verbreitung von Gewaltvideos zu stoppen.

Der Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen bezeichnete im Deutschlandfunk die Verbreitung des Videos als „grotesk”. Der Täter plane das mediale Echo in seine Tat ein und habe darauf gesetzt, dass Menschen – und auch Journalisten – das Video verbreiteten. Berichterstattungen wie bei der „Bild“, die Videoausschnitte veröffentlichte, ähnelten einer „Attentatspornografie”. Wie die Agentur Meedia berichtete, liegen dem Deutsche Presserat „derzeit 35 Beschwerden zur Veröffentlichung der Video-Sequenzen auf Bild.de bzw. auf dem Facebook-Auftritt von Bild vor”.

Unter dem Begriff „Snuff“ werden Enthauptungen gezeigt

In Deutschland kann laut Strafgesetzbuch Paragraf 131 mit bis zu einem Jahr Gefängnis bestraft werden, wer Schriften, Bilder oder Filme verbreitet, „die die grausame oder unmenschliche Gewalttätigkeit gegen Menschen“ schildern und damit eine „Verherrlichung oder Verharmlosung“ der Gewalt verbinden. Laut Dirk Lammer vom Deutschen Anwaltsverein sei der Paragraf aber „so nutzlos wie ein Klimaschutzgesetz“. Da viele Tatbestandsmerkmale zu erfüllen seien, sei der Paragraf schwer anwendbar. „Es gibt jährlich nur neun bis 15 Verurteilungen wegen des Paragrafen 131. Das ist absolut bedeutungslos.“ Die bloße Darstellung des Videos sei sicher nicht verboten, und gegebenfalls wegen des Informationsinteresses legitim. Anders sei es, wenn das Video mit gewaltverherrlichenden Parolen – etwa „Die haben es verdient“ – versehen werde. Unter dem Begriff Snuff werden im Internet auch brutale Videos gezeigt, die etwa die Enthauptung, Verstümmelung oder Folter von Opfern zeigen. Ihre Verbreitung ist verboten, ihr „Konsum“ allerdings nicht.

Dass der Täter von Christchurch zum Nachahmen seiner Tat aufforderte, davon gehen die Behörden in Neuseeland aus – und sein Video sollte dazu anstiften. Der britische Heimatminister Sajid Javid forderte am Montag, die Sozialen Medien müssten „ihre Plattformen säubern“ oder „die Härte des Gesetzes“ spüren: „Die Konzerne müssen mehr tun, um die Verbreitung dieser Darstellungen zu verhindern.“

Weltweit wird mittlerweile erörtert, was gegen den Nachahmereffekt von Massenmördern zu tun ist. So wird in den USA darüber debattiert, die Namen von Tätern nach einem Massaker nicht mehr zu nennen, um ihnen nicht zu trauriger Berühmtheit zu verhelfen. Vor allem die Schüsse an der Columbine High School in Colorado 1999 sollen bis heute Todesschützen motiviert haben.

Der mutmaßliche Täter von Christchurch soll von einem Schützen aus dem Jahr 2015 inspiriert worden sein, der neun schwarze Kirchgänger in Charleston, South Carolina, umbrachte. Studien zeigen einen Nachahmereffekt nach der intensiven Berichterstattung über Selbstmorde und Morde. Kriminologen, die Massenschießereien studieren, sagen, die große Mehrheit der Schützen sauge die Berichterstattung „als Richtlinie“ für eigene Taten auf.

Können Sechsjährige jetzt Massenmördern zuschauen, fragt eine Zeitung

In Deutschland gab es bisher vor allem ein kritisches Echo in den Medien. Es seien nach Christchurch Bilder vervielfältigt worden, schrieb die „Süddeutsche Zeitung“, „die aus Sicht des Mörders der eigentliche Erfolg seiner Tat sind und die Bestandteil seines Kalküls waren“. Für die „Osnabrücker Zeitung“ ist jetzt bei Facebook ein „eindeutiger Beweis“ dafür gebracht, „dass die Plattform machtlos ist, wenn einer ihrer zwei Milliarden Nutzer gewalttätige Inhalte verbreiten will“. Die „Rheinische Post“ kommentierte: „Unerträglich ist die Vorstellung, dass Sechsjährige (viele von ihnen besitzen schon ein internetfähiges Smartphone) auf dem Schulhof einem Massenmörder zuschauen können.“ Facebook und die anderen sozialen Netzwerke müssten die Schutzmauern höher ziehen, es sei aber auch eine politische Aufgabe, im Internet Regeln einzuführen, die Freiheit und Kontrolle in die Balance bringen.