Tunesien, Ägypten und nun die Türkei: Attentäter zielen auf Touristenorte. Diese perfide Strategie darf nicht aufgehen, kommentiert StZ-Autor Christoph Link.

Stuttgart - Die Hintergründe des Anschlags von Istanbul mit einer Vielzahl von deutschen Todesopfern sind noch nicht restlos geklärt. Aber es ist bemerkenswert, dass der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan am Dienstag in einem frühen Stadium nicht seine Erzfeinde von der kurdischen PKK als möglichen Urheber nannte, sondern von einem syrischen Selbstmordattentäter sprach. Dies könnte ein Hinweis auf ein von der Terrormiliz Islamischer Staat gesteuertes Verbrechen sein. Die Terroristen hatten über Jahre hinweg auch in der Türkei einen Schutzraum, ohne dass die AKP-Regierung unter Erdogan beherzt gegen sie vorgegangen wäre.

 

Erneut haben Terroristen sich auf ein touristisches Ziel konzentriert – den Platz vor der Blauen Moschee in Istanbul, ein Ort der täglich von Zehntausenden besucht wird, und der in einem Viertel liegt, das mit seinen Bars und Restaurants europäisch geprägt ist. Nach den Anschlägen auf ein Museum und einen Badeort in Tunesien, nach den wiederholten Attentaten in Ägypten – etwa dem Abschuss einer Urlaubermaschine bei Scharm El-Scheich und der Messerattacke auf Hotelgäste in Hurghada – trifft es zum dritten Mal eine Feriendestination, die auch bei Deutschen beliebt ist. Nach Spanien, Italien und Österreich liegt die Türkei bei den Deutschen immerhin auf Platz vier der beliebtesten ausländischen Reiseziele. Auch mehrere Vereine aus der Fußball-Bundesliga absolvieren derzeit ihr Wintertraining an der türkischen Riviera.

Eine perfide Strategie der Terroristen

Die Strategie der Terroristen ist so perfide wie wirkungsvoll. Sie versuchen die Stabilität eines Landes auszuhöhlen, in dem sie seine Devisenbringer und einen wichtigen Wirtschaftszweig direkt angreifen. Dies könnte das Heer der Arbeitslosen im Lande vergrößern. Aus ihm wiederum könnten neue Kämpfer rekrutiert werden. Die Anschläge fordern den Sicherheitsapparat des jeweiligen Landes heraus, die staatliche Repression wird zunehmen, was den Druck auf politische Minderheiten erhöhen und Unfrieden säen wird. Wie diese Spirale zu stoppen ist, bleibt fraglich. Der ägyptische Unternehmer Samih Sawiris, der groß in der Schweiz investieren will, berichtete kürzlich, er habe auf dem Sinai Hotels schließen und 1500 Beschäftigte entlassen müssen. Aber er habe viele Stürme im Tourismus durchlebt und verlasse sich auf das kurze Gedächtnis der Urlauber.

Die Deutschen haben auf die Gefahren in der arabischen Welt längst reagiert und ihre Urlaubspläne angepasst. Wie eine Erhebung zeigt, findet eine Verlagerung der Reisen nach Spanien und Italien statt, auch der Urlaub im eigenen Land nimmt zu. Dieselbe Studie gibt Anlass zu Hoffnung, denn sie hat herausgefunden, dass sich die Bürger ihre Reiselust wegen der weltpolitischen Lage nicht nehmen lassen: Eine Mehrheit wird ihre Reisefrequenz nicht ändern, jeder fünfte will 2016 sogar mehr reisen, nur elf Prozent wollen weniger reisen. Es scheint, als ob die Terrorgefahr als Teil des allgemeinen Lebensrisikos akzeptiert wird. Machen wir uns nichts vor: Die Verunsicherung hat die ganze Welt ergriffen. Metropolen wie New York, London, Madrid und Paris sind Schauplätze verheerender islamistischer Anschläge gewesen, kürzlich sind Terrorwarnungen auch für Hannover und München erlassen worden.

Reisende verdrängen katastrophale Ereignisse

Es gibt Anzeichen dafür, dass auch katastrophale Ereignisse in der Reisebranche – etwa die Havarie des Kreuzfahrtschiffs Costa Concordia oder der Absturz der Germanwings-Maschine – von den Menschen nach einer gewissen Zeit verdrängt werden. Jeder Warnhinweis auf Terroranschläge wird ernst zu nehmen sein, beliebte Urlaubsziele müssen sich permanent einer Überprüfung auf Anschlagsgefahren unterziehen und gegebenenfalls storniert werden. Aber die Neugierde auf die Welt, die Lust am Reisen und an Begegnungen – kein Terrorist sollte sie zerstören können.