Der mutmaßliche Täter von Christchurch stammt aus Australien. Ist das ein Zufall? Im Gegensatz zum liberaleren Neuseeland setzt das Land auf eine strikte Abschottungspolitik – und die rechtsradikalen Tendenzen nehmen seit Jahren zu.

Bangkok - In der neuseeländischen Stadt Christchurch lagen die muslimischen Opfer noch in ihrem Blut, als Australiens Premierminister Scott Morrison mit betretenem Gesicht auf einer Pressekonferenz in Canberra gestehen musste: „Bei mindestens einem der Täter handelt es sich um einen rechtsextremen Bürger Australiens.“ Der Mann, der als Einwanderungsminister Tausende von Flüchtlingen auf entlegenen Inseln im Pazifik in Lager steckte, muss sich nun den Vorwurf gefallen lassen, dass seine fremdenfeindliche Politik Rechtsextremismus und rechtsradikalen Terror stärkte.

 

Denn das Ziel der konservativen Regierungspartei Liberal Party, mit einer strikten Kontrolle die Zuwanderung zu begrenzen, führte nicht zu größerer Toleranz in Australien. Seit drei Jahren beobachtet der australische Inlandsgeheimdienst ASIO einen starken Zuwachs bei Rechtsradikalen und rechtsextremen Aktivitäten. Sie fühlen sich bestärkt, weil sie in einer Welle der wachsenden Fremdenfeindlichkeit schwimmen. Pauline Hanson von der Partei „One Nation“ (Eine Nation) trommelt rechts von der Liberal Party seit Jahren für Privilegien von Weißen. Neil Erikson, der wegen Hetze gegen die rund 600 000 Muslime in der 25 Millionen Einwohner zählenden Nation verurteilt wurde, und ein Mann namens Blair Cottrell an der Spitze der United Patriots Front, der Hitler-Bilder in Klassenzimmern aufhängen lassen wollte, machen immer wieder von sich reden. Dennoch reagieren Experten für Rechtsextremismus überrascht: „Zum ersten Mal hat Australiens radikale Rechte die Grenze zum Terror überschritten“, sagt Professor Joshua Roose, der führende Experte für Rechtsextremismus auf dem fünften Kontinent, am Freitag.

Neuseeland steuerte bewusst einen liberaleren Kurs

Es mag in Australien während der vergangenen Jahre zwar Hunderte von Opfern rechtsradikaler Provokateure und Schläger gegeben haben. Doch nun müssen Fachleute wie Roose ihre Meinung überprüfen, dass die Gruppen weit vom Terror entfernt waren. Ähnlich wie Neuseelands Right Wing Resistance, die einzige bekannte rechtsradikale Gruppe im Land, galt ihr Hass während der vergangenen Jahre nicht nur muslimischen Einwanderern, sondern auch Chinesen oder Polynesiern. Der Glaube, dass die ehemalige britische Strafkolonie Australien „Weißen“ gehöre, ist freilich nicht nur bei rechtsextremen Fanatikern zu finden. Viele Wähler von Morrisons Partei liegen zumindest emotional auf einer ähnlichen Linie.

Während sich in Australien die Fronten zwischen weltoffenen Einwohnern und ihren für Abschottung plädierenden Landsleuten verhärteten, steuerte Neuseeland bewusst einen anderen Kurs: Premierministerin Jacinda Ardern bot etwa an, 150 der von Australien im Inselstaat Nauru internierten 3000 Flüchtlinge aufzunehmen. Ihr australischer Kollege Morrison, dessen strikte Anti-Flüchtlingspolitik vielen europäischen Konservativen als beispielhaft gilt, lehnte ab. Er fürchtete, dass die Vereinbarung neuer Ansporn für andere Flüchtlinge sein könnte, sich per Boot auf den Weg nach Australien zu machen. Neuseeland nahm zudem Flüchtlinge aus Syrien auf. Aber die Zahlen fallen im Vergleich zu Europa ziemlich gering aus.

Viele Neuseeländer, deren Regierung ebenfalls Elite-Einheiten nach Afghanistan und in den Irak schickte, waren bis zum Freitag überzeugt, dass trotz gelegentlicher Reibereien keine ernsthafte Gefahr bestand. Nach dem rechtsextremen Terroranschlag in Christchurch ermittelt die Polizei nun fieberhaft. Sie sucht nach einem rechtsradikalen Netzwerk, das sie möglicherweise bislang übersehen hatte. Denn der Attentäter und seine drei Komplizen hatten ihre Tat offenbar wochenlang vorbereitet. Sie übten sich nicht nur im Schießen, sondern auch im Bau von Bomben.