Bislang ist es schwierig, das Motiv des Anschlages in Boston einzuordnen. In den vergangenen Jahren hat es in den USA nicht nur islamistische Anschläge gegeben, sondern auch Angriffe von rechts.

Stadtentwicklung & Infrastruktur: Andreas Geldner (age)

Stuttgart - Das Ziel, das sich die Attentäter in Boston ausgewählt haben, hat viele Facetten. Der Marathonlauf, den sie ins Chaos gestürzt haben, ist einerseits ein großes, internationales Volksfest, das die toleranten und offenen Vereinigten Staaten symbolisiert. Andererseits ist der Lauf unmittelbar verknüpft mit einem der ehrwürdigsten Tage für amerikanische Patrioten. Am Patriot’s Day erinnern sich die Bürger von Massachusetts jedes Jahr am dritten Montag im April an die ersten Gefechte des amerikanischen Freiheitskrieges in den nahe Boston gelegenen Orten Lexington und Concord, die am 19. April 1775 stattfanden. Auch dieses Detail ist wichtig, wenn es um die Schwierigkeit geht, das Motiv des Anschlages einzuordnen. Würden amerikanische Rechtsextreme einen solchen Feiertag attackieren? Wenn es Islamisten waren, warum fehlte zunächst ein Bekenneranruf?

 

Genauso unübersichtlich ist das Bild, wenn man auf zurückliegende Anschlagversuche in den USA blickt. Mehrere waren in den vergangenen Jahren klar islamistisch motiviert. Am 5. November 2009 griff der Militärpsychiater Nidal Malik Hassan auf dem Militärstützpunkt Fort Hood in Texas zur Waffe und erschoss 13 Kameraden. Kurz darauf, am 25. Dezember 2009, versuchte der Nigerianer Umar Farouk Abdulmuttallab kurz vor der Landung in Detroit in einem Flugzeug eine in seiner Unterhose versteckte Bombe zu zünden.

Der Anschlag 2011 auf das US-Kapitol scheiterte

Am 1. Mai 2010 scheiterte der pakistanische Immigrant Faisal Shazad bei dem Versuch, am New Yorker Times Square in einem parkenden Geländewagen eine Sprengstoffladung zu detonieren. Daneben steht eine ganze Reihe von früh verhinderten, zum Teil fast skurril anmutenden Anschlagversuchen wie der im September 2011 vereitelte Plan, das US-Kapitol in Washington mit Hilfe eines mit Sprengstoff bestückten Modellflugzeugs zu attackieren. In der Regel haben sich islamistische Terroristen nach ihren Anschlägen binnen 72 Stunden dazu bekannt.

Manche solche Bekenntnisse sind aber auch eine gezielte Irreführung der Polizei. Daneben gab es in den vergangenen Jahren auch eine Reihe versuchter Terrorakte von rechts. Nach der Wahl von Barack Obama, der von der äußersten Rechten in den USA als sozialistischer Staatsfeind gebrandmarkt wurde, begann sich die radikale Szene neu zu formieren. Nach dem rechtsextremen Attentat auf eine Bundesbehörde in Oklahoma, das am 19. April 1995 insgesamt 168 Tote forderte, und einem von einem rechtsradikalen christlichen Fundamentalisten mit einem ähnlichen Sprengsatz wie in Boston verübten Anschlag auf die Olympischen Sommerspiele in Atlanta am 27. Juli 1996 mit zwei Toten, war dieses Milieu für einige Jahre in die Defensive geraten.

Es gab auch immer wieder Einzeltäter

Große Ähnlichkeiten mit dem Bostoner Geschehen weist der zum Martin-Luther-King-Gedenktag am 17. Januar 2011 vereitelte Anschlagversuch eines rassistischen Einzeltäters auf. Der inzwischen verurteilte Ex-Soldat Kevin Harpham hatte in der im US-Westküstenstaat Washington gelegenen Stadt Spokane entlang der geplanten Route eines Gedenkmarsches einen Sprengsatz in einem Rucksack deponiert, den er in der Menschenmenge zünden wollte. Putzkräfte fanden die Bombe noch rechtzeitig.

Wenn man weiter zurückblickt, landet man aber auch bei Einzeltätern, deren ideologischer Hintergrund nicht klar zu verorten ist. Zwischen 1978 und 1995 legte ein Einzelgänger namens Theodore Kaczynski eine ganze Serie von Sprengsätzen – angeblich aus Hass auf die Auswüchse der modernen Zivilisation. Er wurde Unabomber genannt, weil er vor allem Universitäten und Airlines im Visier hatte. Insgesamt wurden dabei drei Menschen getötet und 23 verletzt. Die Polizei kam ihm erst nach Jahrzehnten auf die Spur – nach einem Tipp seines Bruders.