Der grausame Anschlag auf die Redaktion des Magazins „Charlie Hebdo“ ist eine Attacke auf die Meinungsfreiheit im Westen, findet StZ-Chefredakteur Joachim Dorfs.

Chefredaktion: Joachim Dorfs (jd)

Paris - Man muss nicht alles gut finden, was die Autoren und Karikaturisten des französischen Satiremagazins „Charlie Hebdo“ in den vergangenen Jahren publiziert haben. Immer wieder haben sie die Grenzen zum schlechten Geschmack gerissen, haben polemisiert, bloßgestellt und beleidigt. Immer wieder waren die Religionen, insbesondere der fundamentalistische Islam, Ziel des mitunter äußerst derben Humors der Redaktion in der Nähe der Pariser Place de la Bastille.

 

Das war oft nicht lustig und tat mitunter auch richtig weh. Kaum eine Zeitung oder ein Magazin ging publizistisch so weit wie „Charlie Hebdo“: einen Präsidenten mit sprechendem Geschlechtsteil oder satirische Sonderhefte zur Scharia oder der Shoah strapazierten die Grenzen des Geschmacks. Und doch sind sie Teil einer pluralistischen Gesellschaft, in der die Meinungs- und Pressefreiheit konstituierende Elemente der Demokratie sind. Nicht alles, was publiziert wird, ist schützenswert. Schützenswert ist jedoch die Tatsache, dass veröffentlicht werden darf, was nicht gesetzlich verboten ist oder Rechte Einzelner in besonderer Weise verletzt. Das ist der Konsens des westlichen Demokratieverständnisses. Dazu gehört es, dass die Kritisierten und Karikierten Zumutungen auch heftigerer Art zu ertragen haben.

Gewalt, die einem das Herz gefrieren lässt

Diese Freiheit ist es offenbar, die den Attentätern auf den „Charlie Hebdo“ in Paris wie ein Stachel im Fleisch gesessen haben muss. Sie fühlten sich offenbar so provoziert, dass sie mit brutaler Gewalt reagiert haben, und zwar, wenn die Schilderungen stimmen, mit einer Grausamkeit und Effizienz, die einem das Herz gefrieren lässt.

Dies ist nicht nur ein Angriff von verbohrten gewalttätigen Extremisten auf eine Redaktion in Frankreich, es ist ein Angriff auf uns, unsere Freiheit des Denkens und die westliche Demokratie. Und so brauchen nicht nur die getöteten Autoren, Zeichner und auch die Polizisten und ihre Angehörigen unser Mitgefühl und unsere Trauer. Es brauchen auch diejenigen – Journalisten, Zeichner, Schriftsteller, Politiker, Bürgerrechtler – die hier oder in vielen anderen Ländern der Welt ihre Meinung sagen, unsere Solidarität.

Herausforderungen für die die westliche Gesellschaft

Wenn es, was wahrscheinlich, aber nicht bewiesen ist, bestens ausgebildete islamistische Terroristen von Al Kaida waren, die mit Kalaschnikows und Raketenwerfern ein Blutbad in der Redaktion von „Charlie Hebdo“ angerichtet haben, sind die bevorstehenden Herausforderungen für die westlichen Gesellschaften aber noch größer. Nicht umsonst war der französische Skandalautor Michel Houellebecq auf dem Titelblatt der letzten Ausgabe von „Charlie Hebdo“. In seinem Roman „Unterwerfung“, der jetzt in Frankreich und nächste Woche in Deutschland erscheint, entwirft er das Szenario eines Islamisten, der in den Elysée-Palast einzieht und als Präsident aus Frankreich einen islamischen Gottesstaat macht.

In einem solchen Klima nach einer solchen Tat einen kühlen Kopf zu bewahren, erfordert von allen Beteiligten große Weitsicht und Willenskraft. Der Staat muss sich einerseits wehrhaft zeigen, andererseits müssen die Verantwortlichen auch so besonnen reagieren, nicht weiter Öl ins Feuer zu gießen. Dazu gehört, sich von den Terroristen nicht einschüchtern zu lassen und nicht zurückzuweichen, andererseits aber auch die Bürger islamischen Glaubens nicht auszugrenzen.

Es wäre fatal, wenn sich nach dem Attentat von Paris Scharfmacher auf beiden Seiten durchsetzen würden. Es darf weder eine klammheimliche Freude über den Anschlag auf ein islamkritisches Magazin geben noch dürfen Bürger muslimischen Glaubens einem Generalverdacht ausgesetzt werden. Sonst hätten die brutalen Attentäter ihr Ziel doch noch erreicht: die westlichen Werte zu zerstören und Hass zu säen.