Iced Matcha Latte, zu spät beim Pilates? Auch in Stuttgart schießen überall Pilates-Studios aus dem Boden. Das Problem: Jede:r kann sich Pilates-Trainer:in nennen. Über einen Sport als Statussymbol.
Selbstoptimierung, Clean Girl Aesthetic, Shirin David: In den vergangenen zwei Jahren hat sich Pilates zu einem unglaublichen Trendsport entwickelt, der über eine bloße Trainingsmethode hinausgeht. Dank vieler Prominenter und Influencerinnen ist die Praxis zum Synonym für eine bestimmte Art eines ehrgeizigen, ultra-optimierten Lebensstils geworden. Dazu gehören natürlich auch teure Smoothies und Matcha Lattes, passende Lululemon-Trainingssets und schicke Wasserflaschen. Auf Tiktok nennt man so einen Look „Pilates Prinzessin“.
Auch in Stuttgart ist der Trend längst angekommen
Dieser Hype spielt sich nicht nur in meinem Algorithmus ab, sondern lässt sich auch mit Zahlen belegen: Das Google-Suchinteresse für Pilates in Deutschland nahm in den vergangenen drei Jahren im Januar jeweils um 25 Prozent im Vergleich zum Vorjahr zu. In Stuttgart gibt es mittlerweile mehr als 20 Pilatesstudios, nicht miteingerechnet sind Yogastudios, die Pilates oder Pilates Barree zusätzlich anbieten. Diese Studios sehen nicht aus wie Fittibuden, sondern erinnern mit ihren lichtdurchfluteten Räumen mit großen Fenstern, bodentiefen Spiegeln und der minimalistischen Eleganz eher an Wellnesstempel. Hier stehen die sogenannten Reformer aneinandergereiht. Während des Trainings sitzt, liegt oder steht man auf den bettähnlichen Geräten und bringt sie fast andächtig mit der eigenen Körperkraft in Bewegung. Arme und Beine hängen an Seilen oder man drückt sich von der Stange weg.
Das alles wirkt trendy, dabei ist Pilates alles andere als neu und durchlief in den vergangenen 30 Jahren schon einige Trendzyklen. Und natürlich ist Pilates eine deutsche Erfindung. 1924 reichte Joseph Pilates, ein geborener Mönchengladbacher, einen Patentantrag für den Reformer ein. Hundert Jahre später, ist der Sport ein Megatrend und auch zunehmend ein Statussymbol. Statt mit Designerhandtaschen posieren junge Frauen auf Selfies mit ihren Besties im Pilatesstudio oder dem Matcha danach.
Isabel Hepke und Vanessa Zachwey vom Stuttgarter Pilatesstudio Mamagold freuen sich, dass Pilates im Trend liegt und sich auch das Bild vom Pilates-Training geändert hat. „Wir finden es sehr positiv, dass Pilates wieder mehr Aufmerksamkeit bekommt, lange hatte der Sport den Ruf so sehr 90er und veraltet zu sein“, so Vanessa, die wie ihre Partnerin Isabel auch Hebamme ist. Die beiden bieten in ihrem Studio seit 2019 spezielle Kurse für die Schwangerschaft, die Zeit nach der Rückbildung und auch klassisches Pilates an. „Grundsätzlich ist Pilates für nahezu jeden und jede geeignet, da es eine sanfte, aber effektive Sportart ist“, so Hepke, die hofft, dass der aktuelle Trend nicht nur ein Trend bleibt.
„Stick with a Pilates girl during a zombie apocalypse“ oder „Survival Training for the End Times“ – diese Sprüche über Pilates kommen nicht von irgendwoher. Die körperstärkenden Übungen wurden von Pilates ursprünglich für Kriegsgefangene entwickelt. Er war während des ersten Weltkriegs in einem britischen Internierungslager inhaftiert. Dort soll er seine Übungen entwickelt haben, um Versehrten zu helfen, sich nach Kriegsverletzungen schneller zu erholen und kräftig zu werden. Ziel des Trainings ist nämlich die Stärkung der tieferliegenden Muskulatur und des Cores, insbesondere Rücken, Bauch und Beckenboden werden dabei beansprucht. Auch die Körperhaltung spielt eine große Rolle, denn die Mitte soll durch Pilatestraining stabilisiert werden.
„Pilates is for everyone“
2025 liegt vor allem das Training am Reformer im Trend. Diese Geräte stehen seit Kurzem auch im Dorotheen-Quartier. Hier hat Nihan Öztürk ihr Studio Pilates Stuttgart im Oktober 2024 eröffnet, das vorher zwei Jahre lang im Milaneo untergebracht war. Helle große Räume, beige Wände, futuristisch aussehende Reformergeräte und wunderschöne Menschen in teuren Sportklamotten: Die Klischees stimmen schon mal. „Pilates is for everyone“, schwärmt sie und führt durch ihr Studio. Bevor sie mit ihrem Mann nach Stuttgart zog, leitete die durchtrainierte Frau ein Pilatesstudio in Istanbul. Sie spricht englisch, wirkt wie eine elfenhafte Blaupause des Clean Girls und hat eine beneidenswerte Körperhaltung.
Aber nun zu den Gerätschaften. Öztürk erzählt, dass man hier im Dorotheen-Quartier auf Merrithew-Geräten trainiert und im Studio auch Pilates-Trainer:innen ausgebildet werden. Für solche Reformer muss man laut Nihan Öztürk zwischen 5000 und 7000 Euro berappen. „Wir sind das einzige offizielle Trainingszentrum für die Stott-Pilates-Methode in Stuttgart. Die Trainer:innen-Ausbildung erstreckt sich auf sechs Monate Praxis, einem Examen und acht Monate Reformer-Training“, erklärt Öztürk. Ihr Laden brummt. „Wir haben unter der Woche von 7.30 bis 21 Uhr nonstop geöffnet, auch am Sonntag sind wir so gut wie immer ausgebucht“, so die 45-Jährige, für die Pilates mehr ist als ein Hype. „It’s a timeless trend“, so Öztürk. Ein Trend, der nicht gerade günstig ist. Für eine Zehnerkarte zahlt man hier 280 Euro, eine Jahresmitgliedschaft mit maximal acht Teilnahmen pro Monat beläuft sich monatlich auf 190 Euro.
„Wir beobachten diesen Trend mit großer Sorge“
Nihan Öztürk erwähnt, wie wichtig die richtige Ausbildung sei. Man muss wissen, dass der Name Pilates nicht geschützt ist. Jede:r kann sich Pilates-Trainer:in nennen und auch jede:r kann – ob mit oder ohne Ausbildung – ein Studio leiten. Es gibt Workshops, die nur über ein paar Wochenenden gehen und Ausbilder:innen, die selbst noch keine Ausbildung abgeschlossen haben. Das hält nicht nur Nihan Öztürk für gefährlich.
Stefanie Rahn, die Präsidentin des Deutschen Pilates Verbands, kann dem nur beipflichten. „Momentan schießen in ganz Deutschland Reformer-Studios aus dem Boden. Wir beobachten diesen Trend mit großer Sorge“, so Rahn. Wie gefährlich es sein kann, wenn man falsch trainiert, nicht korrigiert wird oder mit unerfahrenen Trainer:innen konfrontiert wird, kann Rahn nur immer wieder wiederholen. Sie kritisiert vor allem die fehlende Ausbildung für Gruppentrainingseinheiten an Reformer-Geräten. Auch bei ihrem Verband hätten sich bereits Studios für eine Zertifizierung gemeldet, deren Trainer:innen selbst noch am Anfang der Ausbildung stehen.
Gravierende Qualitätsunterschiede bei den Pilates-Kursangeboten
„Als Verband wollen wir Sicherheit schaffen. Ausbilder:innen müssen bestimmte Kriterien erfüllen und eine grundlegende Ausbildung absolviert haben“, so Rahn. Auf der Homepage des Deutschen Pilates Verbands findet man verschiedene Ausbildungsinstitute in Deutschland, die vom Verband anerkannt sind. Dem Verein, den es seit 2006 gibt, ist es ein großes Anliegen, die Öffentlichkeit für die gravierenden Qualitätsunterschiede bei den Pilates-Kursangeboten zu sensibilisieren.
Auch Isabel Hepke und Vanessa Zachwey sehen es kritisch, dass Pilates nicht geschützt ist und sich jede:r Trainer:in nennen kann. „Es kann sein, dass manchmal Pilates angeboten wird, das gar nicht wirklich auf der echten Pilates-Methode nach Joseph Pilates beruht. Ebenso sieht es mit der Ausbildung aus. Hier gibt es leider große Unterschiede, was die Qualität und Dauer angeht“, so die beiden.
Besonders beim Pränatal- und Postnatal-Pilates und Beckenboden-Training ist Vorsicht geboten. „Pilates ist nicht gleich Pilates“, sagt Hepke, die es so wie Zachwey kritisch sieht, wenn Trainer:innen keine spezielle Zusatzausbildung oder Zertifizierung dafür haben. Durch eine eventuell falsche Ausführung von Übungen können eine Verschlechterung der Beschwerden oder gar neue Probleme auftreten, sagen die beiden. „Das passiert vor allem dann, wenn der oder die Trainerin keine Übungsalternativen anbietet oder zu wenig auf die Teilnehmer:innen eingeht und korrigiert“, erklärt Zachwey .
„Weltklasse Trainer:innen können ihre Klasse fast blind anleiten“
Stefanie Rahn unterstreicht die Wichtigkeit der Ausbildung. Da es beim Training am Reformer besonders um präzise Bewegungen geht, ist es Rahn wichtig, dass die Trainer:innen sich mit dem Gerät gut auskennen. Wie funktioniert die Mechanik? Wo kann man sich im schlimmsten Fall einklemmen? Welche Ausgangspositionen gibt es? Und natürlich wie die Übungen bestmöglich durchgeführt werden. Rahn betont, dass auch die Gruppengröße ein Faktor sei. „Jede:r kommt mit verschiedenen Ausgangslagen, Erkrankungen und Problemen in die Stunde. In einem Kursraum hat man an jedem Gerät ein Individuum.“ Sei der oder die Trainer:in gut ausgebildet, habe er oder sie keine Probleme mit den unterschiedlichen Ausgangslagen ihrer Schüler:innen, so Rahn. Daher möchte sie sich auch nicht auf eine Maximalanzahl an Reformer-Geräten in einem Kursraum festlegen. „Weltklasse Trainer:innen können ihre Klasse fast blind anleiten.“
Checkliste für ein gutes Studio
Aber wie findet man raus, ob das Pilatesstudio gut ist? Gibt es Green Flags? „Beim Pilates ist es entscheidend, mit einem Trainer oder einer Trainerin zu arbeiten, der oder die zu Beginn auch nachfragt, ob man Problematiken mitbringt oder verletzt ist“, erklärt Stefanie Rahn. Außerdem empfiehlt die Präsidentin des Pilates-Verbands einen Blick auf das Angebot und ob Anfängerkurse im Programm stehen. Eine ausgezeichnete Zertifizierung des Pilates-Verbands oder ein Siegel sind zudem auch Qualitätsmerkmale. Im Zweifel sollte man sich einfach erkundigen, wie lange die Trainer:innen ausgebildet wurden, merkt Rahn an.
Isabel Hepke und Vanessa Zachwey empfehlen geschlossene Kurse, in denen jede Stunde aufeinander aufbaut. „Wenn Pilates-Anfänger:innen einen offenen Kurs besuchen, bestehen gesundheitliche Gefahren, da sie das theoretische Vorwissen und die Basisübungen nicht kennen. So geht eventuell auch die Essenz von Pilates verloren, denn in einer gemischten Gruppe gibt es wenig Möglichkeit, individuell auf die Teilnehmer:innen einzugehen.“
Trendy Reformer oder Oldschool Matten-Pilates?
Aber was ist nun besser? Trendy Reformer oder Oldschool Matten-Pilates? „Beides hat seine Vorteile und kann auch durchaus parallel praktiziert werden, wenn die Qualitätsansprüche gewährleistet sind“, sagt Hepke. „Jede:r hat eine Vorliebe für eine bestimmte Methode.“ Da Hepke und Zachway bei Mamagold Matten-Pilates unterrichten, können die beiden konkreter auf die Benefits eingehen: „Das Großartige am Matten-Pilates ist, dass es sowohl perfekt zum Einstieg, als auch zur Steigerung geeignet ist. Hier gibt es quasi keine Grenzen, es gibt eine Vielzahl an Übungsvariationen, die immer für die Teilnehmer:nen individuell angepasst werden können und es somit niemals langweilig wird“, so Zachway.
Auch beim Matten-Pilates gibt es zusätzliche Hilfsmittel, wie Pilatesbälle oder -ringe, erklären die beiden. Außerdem würden besonders Schwangere und Mütter nach der Geburt vom Training auf der Matte profitieren, da sie mit dem eigenen Körpergewicht arbeiten. „Durch die besondere Atmung fördert es außerdem die Konzentration und Koordination“, schwärmt Hepke vom Allround-Training und man kann verstehen, warum der Sport aktuell so gehypt wird.