Dumpinglöhne für Näherinnen in Indien, Billig-Klamotten, die unter miserablen Arbeitsbedingungen gefertigt werden– der Journalist Christoph Lütgert diskutierte mit Textilunternehmern aus der Bio- und Fairtrade-Branche über jenen anhaltenden Kleidungs-Wahnsinn und die Alternativen.

Stuttgart - „Wenn ich mir den täglichen Wahnsinn in einer Primark-Filiale ansehe, dann möchte ich resignieren und sagen, es hat sich nichts oder verdammt wenig geändert“, resümiert Christoph Lütgert, der 2011 für den Norddeutschen Rundfunk die „KiK-Story“ enthüllte. In diesem Film werden die unmenschlichen und gnadenlosen Bedingungen gezeigt, unter denen Näherinnen und Näher in Bangladesch für das deutsche Textilunternehmen „KiK“ Kleidung produzieren. Zu Beginn der Diskussion im Haus der Geschichte unter dem Titel „BH, Bikini, Boxershorts – bio oder billig?“ ist Lütgert skeptisch, ob sich seit der Aufdeckung der miserablen Arbeitsbedingungen viel geändert hat.

 

Der Preis dominiere nach wie vor alles, meint der Journalist und trifft damit eine Kernfrage des Textilkonsums: Sind Menschen bereit, mehr Geld für bessere Qualität hinzublättern? Die Qualität eines Kleidungsstücks hängt dabei nicht nur von der stofflichen Beschaffenheit ab, sondern von mindestens zwei weiteren Faktoren: dem biologischen Anbau der Ausgangsstoffe und den „fairen“ Bedingungen, unter denen die Kleidungsstücke, oft in Indien oder Bangladesch, produziert werden. Als fair gilt zum Beispiel ein Lohn, der den Arbeiterinnen ein so genanntes Existenzminimum gewährleistet (der Mindestlohn in Indien liegt derzeit bei etwa 50 Euro im Monat, so Lütgert) sowie gesunde Arbeitsbedingungen.

Bernd Hausmann, der vor zehn Jahren seinen ersten Laden für faire und ökologische Kleidung eröffnete, sieht das Problem nicht in der Höhe des Preises: „Die Produkte müssen gut sein, dann sind die Kunden auch bereit, mehr zu zahlen.“ „Biofaire“ Kleidung, wie die Diskutanten sagen, muss zudem nicht unermesslich teuer sein – T-Shirts verkauft Hausmann in seinen glore-Läden ab 12 Euro, Jeans-Hosen kosten zwischen 90 und und 140 Euro. Auch die Preise für die Biokollektion beim oberschwäbischen Wäschehersteller Comazo bewegen sich im Bereich von Markenartikeln, aber nicht darüber, meint Niklas Stahlecker.

Nationale Gesetze sind gefragt

Als Hauptgrund für den bislang geringen Umsatz von „biofairer“ Kleidung sieht Hausmann das fehlende Angebot. Seinen ersten „concept store“, einen Laden mit einem außergewöhnlichem Sortiment, eröffnete er vor zehn Jahren, weil er sich ethisch richtig kleiden, aber nicht im „Müsli-Look“ durch die Straßen laufen wollte – also weder mit Birkenstock-Sandalen noch im Leinenhemd. Auch Claudia Lehel-Slepica, Bekleidungsingenieurin, die aus indischen Sari-Stoffen westliche Kleidung produzieren lässt, bestätigt, dass die ökologischen und sozialen Aspekte nicht immer die Hauptrolle für den Konsum ethisch vertretbarer Kleidung sein müssen: „Meine Kundinnen kommen nicht, weil sie fair und bio gut finden, sondern weil ihnen die bunten Kleider gefallen.“

Anders als bei der Ernährung fehle noch das Bewusstsein für die Produktionsbedingungen von Kleidung, meint Christoph Lütgert – viele Familien seien wiederum schlichtweg zu arm, um sich faire Kleidung leisten zu können. Da Konsumenten bei Nahrungsmitteln auch immer umsichtiger werden und sich über die Entstehungsgründe informieren, hofft Stahlecker, dass dies bei ökologischen und fairen Kleidern auch nur eine Frage der Zeit ist.

Das Kaufhaus C&A will nach eigenen Angaben bis 2020 sein komplettes Sortiment auf Biobaumwolle umstellen. H&M sortiert derzeit das Angebot mit der „conscious collection“ ebenfalls auf biologische Produkte um. Da aber auch die sozialen Umstände eine erhebliche Rolle spielen, schweben Lütgert nationale Gesetze vor, die in Fällen menschenunwürdiger Produktionsbedingungen in anderen Ländern ein Einschreiten ermöglichen könnten. In Frankreich sei ein solches Gesetz bereits auf dem Weg. Dies und die Tatsache, dass Diskussionsteilnehmer die Textilbranche bereits vorbildlich in eine andere Richtung lenken, stimmt Lütgert am Ende dann doch etwas hoffnungsvoller.