Die Macht der Verbraucher kann die Arbeitsbedingungen in asiatischen Fabriken schrittweise verbessern. Experten fordern die Konsumenten auf, in den Läden die Einhaltung von sozialen und ökologischen Standards zu hinterfragen.

Stuttgart - Angesichts der erschreckenden Bilder und Berichte nach dem folgenschweren Fabrikeinsturz Ende April in Bangladesch rückt die Frage wieder in den Mittelpunkt der öffentlichen Diskussionen: Sind wir, der Westen, weiterhin bereit, die Näherinnen in den Schwellen- und Entwicklungsländern für unsere günstige Kleidung mit dem Leben bezahlen zu lassen? Und falls nicht, was können wir dagegen tun? Es gibt verschiedene Alternativen wie etwa den Boykott von Handelskonzernen, die keine fairen Arbeitsbedingungen, Sicherheits- und Umweltstandards garantieren wollen. Doch gibt es politisch korrektes Einkaufen? Und wie können die Verbraucher darüber hinaus Druck auf die Hersteller ausüben?

 

Der Anstoß: So schlimm die Katastrophe vom Rana-Plaza-Fabrikkomplex in Bangladesch mit mehr als 1100 Toten und zahlreichen Verletzten gewesen ist, so könnte sie doch eine positive Entwicklung in der weltweiten Textilindustrie angestoßen haben. Der Einsturz des achtstöckigen Gebäudekomplexes nahe der Hauptstadt Dhaka markiert den vorläufigen Höhepunkt einer Reihe von Unglücksfällen in den vergangenen Jahren. Die Bilder von eingestürzten Dächern, zerstörten Gebäuden oder ausgebrannten Fabrikhallen lassen immer wieder Zweifel an den Kontrollen in Ländern wie Pakistan, China, Indien, Kambodscha oder eben Bangladesch aufkommen.

32 Unternehmen unterzeichnen ein Brandschutzabkommen

Das Abkommen: Drei Wochen nach dem Unglück von Rana Plaza haben 32 international agierende Handelskonzerne ein Brandschutz- und Gebäudesicherheitsabkommen für Bangladesch unterzeichnet. Es sieht unabhängige Inspektionen, Schulungen für Beschäftigte, die Offenlegung der Prüfergebnisse und Renovierungsmaßnahmen bei Baumängeln vor, an denen sich die Auftraggeber finanziell beteiligen müssen. Gewerkschaften sollen die Arbeiter in den Fabriken über ihre Rechte informieren dürfen, auch über das Recht, bei unsicheren Bedingungen die Arbeit zu verweigern.

Berndt Hinzmann von der „Kampagne für Saubere Kleidung“ (Clean Clothes Campaign, CCC), die das Abkommen maßgeblich vorangetrieben hat, verweist auf die Verbindlichkeit des Regelwerks: „Die Pflichten aus diesem internationalen Vertrag sind einklagbar.“ An die Konzerne, die sich nicht am Abkommen beteiligen – neben den beiden US-Riesen Walmart und Gap auch die deutschen Unternehmen NKD, Ernstings, Adidas und Puma – richtet Hinzmann warnende Worte: „Unternehmen, die jetzt nur zusehen wollen, machen sich schuldig, dass die Bedingungen nicht verbessert werden.“ Ihr Verhalten gefährde Menschenleben.

Sabine Ferenschild vom Südwind-Institut für Ökologie und Ökumene, das ebenfalls in der „Kampagne für Saubere Kleidung“ mitwirkt, hält das Abkommen aber keineswegs für einen „Meilenstein“. Es beschränke sich im Wesentlichen auf den Brandschutz und mache dabei Vorgaben, „die eigentlich selbstverständlich sein müssten“, so Ferenschild. Die Verbesserung von Arbeitsbedingungen und die Anhebung der Mindestlöhne seien dagegen nicht enthalten. Zudem sei die oft behinderte Arbeit der Gewerkschaften nicht ausreichend geschützt. „Nur wenn Beschäftigte die Freiheit haben, sich zu organisieren, können sie vor Ort dafür sorgen, dass die Missstände behoben werden.“ Die Beteiligten: Vorreiter waren die amerikanische Handelsgruppe PVH (Calvin Klein, Tommy Hilfiger) und das deutsche Unternehmen Tchibo, die das Brandschutzabkommen bereits 2012 unterzeichnet haben. Nun sind ihnen 30 weitere große Konzerne gefolgt, darunter H&M, C&A, Otto, Inditex (Zara), Mango, Benetton, Esprit, Kik, Aldi und Lidl. Einen entscheidenden Unterschied zu bisherigen Initiativen sieht Berndt Hinzmann im „Multi-Stakeholder-Ansatz“ des Bangladesch-Abkommens: Beteiligt sind neben den Textilunternehmen auch örtliche und internationale Gewerkschaften, die Arbeitsorganisation der Vereinten Nationen (ILO) und Entwicklungshilfeorganisationen wie die deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ). Die Unternehmen stünden in der Pflicht und hätten es nicht mehr so einfach, sich bei Problemen aus dem Staub zu machen.

Otto beschäftigt 30 eigene Prüfer in den Fabriken

Ein Sprecher der Otto-Gruppe hebt besonders die breite Beteiligung an dem Abkommen hervor: „Das gibt uns die Möglichkeit, stärkeren Druck auf die Fabrikbesitzer und die Regierung in Bangladesch auszuüben, damit sich wirklich etwas tut.“ Der Hamburger Konzern lässt rund fünf Prozent seiner Textilien in Bangladesch fertigen. Neben Prüfern der internationalen BSCI (Business Social Compliance Initiative) überwachen derzeit bereits 30 bei Otto angestellte sogenannte Social-Officers die Fertigungsstätten vor Ort.

Sven Groos, Vorstand für das Non-Food-Geschäft bei Tchibo, hofft, den von seinem Unternehmen eingeschlagenen Weg künftig in Kooperation mit anderen Konzernen fortführen zu können: „Wir arbeiten in den letzten Jahren in Bangladesch zunehmend direkt und weniger über Agenten mit unseren Lieferanten zusammen. Dies erlaubt uns den Aufbau langfristiger und partnerschaftlicher Beziehungen mit wenigen Produktionsstätten“, sagt er. Jedoch müssten weitere Schritte folgen, um die sozialen Bedingungen für die Beschäftigten zu verbessern.

Was können die Verbraucher tun?

Die Verbraucher: Ein Boykott von Produkten einer bestimmten Marke in den westlichen Fußgängerzonen bringt den Näherinnen in den asiatischen Textilfabriken nichts, da sind sich die meisten Experten einig. Ganz im Gegenteil: bleiben die Aufträge aus, verlieren die Arbeiterinnen ihre Jobs und können ihre Familien nicht mehr versorgen, die Kinder nicht mehr zur Schule schicken. „Priorität muss es sein, die Arbeitsbedingungen zu verbessern, und nicht den Leuten die Arbeit zu nehmen“, sagt Manfred Santen von Greenpeace. „Am meisten ist den Menschen vor Ort geholfen, wenn die Firmen, die dort produzieren, sauber werden.“ Der Chemieexperte der Umweltschutzorganisation spart allerdings nicht mit Kritik an der Entwicklung in der Branche: „Die Textilindustrie vagabundiert. Jetzt treibt sie ihr Unwesen in Asien und irgendwann zieht sie womöglich nach Afrika weiter.“

Größeren Einfluss auf die Handelskonzerne als eine bewusste Kauf- oder eben Kaufverzichtsentscheidung räumt CCC-Experte Hinzmann der „Bekundung des politischen Willens von Verbrauchern“ ein: „Die von weltweit mehr als einer Million Menschen unterzeichnete Protestpetition für die Brandschutzverordnung entfaltet einen enormen Druck auf die Politik, die Rahmenbedingungen zu verändern“, sagt er. Der Anspruch der Verbraucher sei, dass mehr Transparenzpflichten für Unternehmen eingeführt werden und die Sorgfaltspflichten innerhalb der gesamten Zulieferketten eingehalten würden.

Kunden sollten sich fragen, wie viele neue Kleider sie brauchen

Bevor sich Verbraucher damit beschäftigen, wo sie ihre Kleidung einkaufen, sollten sie sich nach Meinung von Sabine Ferenschild fragen, wie viel sie überhaupt brauchen. Die Südwind-Vertreterin ist allerdings überzeugt, dass Konsumenten ihre Macht auch ausüben können, wenn sie weiterhin bei den großen Handelsketten einkaufen. Sie müssten ihr Bewusstsein für die Arbeitsbedingungen in den Produktionsländern nur mit in den Laden hineinnehmen und dort Rechenschaft einfordern: „Die Kunden müssen in einigen Monaten bei den Unternehmen nachfragen, die das Bangladesch-Abkommen unterzeichnet haben, wie weit sie gekommen sind, wie viel Geld sie hineingesteckt haben und wie es bei den Sicherheitsschulungen in den Fabriken vorangeht.“

Die Vorbilder: Ein Name, der immer wieder fällt, wenn es um eine kontinuierliche erfolgreiche Verbesserung der Arbeitsbedingungen geht, ist die Fair Wear Foundation (Organisation für faire Kleidung). An der Initiative mit Sitz in Amsterdam sind mehr als 100 Unternehmen beteiligt, die in Staaten wie Bangladesch, Indien, China oder der Türkei produzieren lassen.

Die Mitglieder verpflichten sich zu unabhängigen Überprüfungen der Produktionsstätten und zur Einführung von existenzsichernden Löhnen. Aus Deutschland sind etwa die Outdoor-Hersteller Deuter, Vaude und Jack Wolfskin sowie der Naturmodehersteller Hessnatur in der Non-Profit-Organisation vertreten. „Initiativen wie die Fair Wear Foundation sind ein Vorbild, aber kein Persilschein“, sagt Berndt Hinzmann, der jedoch den auf die gesamte Lieferkette ausgelegten Ansatz begrüßt.

Kleine Öko-Labels bürgen für die gesamte Lieferkette

Manfred Santen von Greenpeace verweist auf eine Reihe kleiner Ökolabels, bei denen man den Herstellungsprozess bis zu den Baumwollfeldern zurückverfolgen kann. „Bei den großen Textil- und Sportartikelherstellern ist so etwas bis jetzt nicht üblich“, sagt er. Als Nachweise für ökologisch nachhaltige Produktion empfiehlt Sabine Ferenschild das GOTS-Siegel (Global Organic Textile Standard) und das IVN-Best-Siegel vom Internationalen Verband der Naturtextilindustrie. Beide stehen für Kleidung aus Naturfasern, die nach maximalen ökologischen Standards hergestellt sind.

„Es ist extrem schwierig zu überblicken, was hinter vielen Qualitätszeichen steckt“, sagt Christian Scheper von der Universität Duisburg-Essen. Oft würden Labels nur auf Momentaufnahmen basieren und daher nicht wirklich zuverlässig sein. Ein Anhaltspunkt bei der Suche im unübersichtlichen Dschungel von Gütesiegeln kann die Transparenz sein: „Die Verbraucher sollten darauf achten, wie viel ein Unternehmen von sich preisgibt, ob es sich beispielsweise von unabhängigen Organisationen überprüfen lässt oder die Inspektionen selber macht“, erklärt der Wissenschaftler.

Informationen über Gütesiegel und öko-faire Kleidung

Ein Überblick über verschiedene Qualitätszeichen und deren Bedeutung unter: www.label-online.de www.modeaffaire.dewww.naturtextil.de www.ci-romero.dewww.femnet-ev.de Internetportale über öko-faire Kleidung und in dem Bereich engagierte Organisationen unter: www.suedwind-institut.dewww.sauberekleidung.dewww.fairwear.orgwww.gruenemode.dewww.getchanged.netwww.korrekte-klamotten.de