Ein grandioser Abend erinnert an den Stuttgarter Journalisten und Autor Thaddäus Troll – und taucht ab in die Zeiten, als die Schwaben noch so waren, wie sie angeblich sind.

Kultur: Adrienne Braun (adr)

Stuttgart - Fragt Gott einen Mann: „Warum heulst du?“ Weil er ein Schwabe sei. Dann, sagt Gott, könne er ihm auch nicht helfen. Als Schwabe, so scheint’s, hat man ein schweres Erbe. Er sei freudlos, meinte Thaddäus Troll, geistige Elastizität sei nicht seine Tugend. Was er kann, das ist putzen, schaffen, sparen und schimpfen – Stichwort „Leck mich am Arsch!“

 

Dass die Schwaben bis heute unter manchen Klischees ächzen, daran hatte Thaddäus Troll einen nicht unerheblichen Anteil. Eigentlich hieß er Hans Bayer und war Journalist und Theaterkritiker. Berühmt aber wurde der Stuttgarter mit ironischen Texten über die Marotten der Schwaben und ihre „lyrische Freude am Schimpfen“.

Im Kammertheater Stuttgart wird man nun zurückkatapultiert in jene Zeiten, als Schwaben noch so waren, wie sie angeblich sind. Der Regisseur Gernot Grünewald hat den Abend „Thaddäus Troll“ entwickelt und dazu viele Texte von Bayer aus der Mottenkiste geholt. Es darf gelacht werden – etwa über einen Song mit Zitaten aus Hausordnungen, in denen das „Reinigen des gemeinschaftlichen Aborts“ eingefordert wird. Grünewald hat eine Art Revue geschrieben mit Songs (Dominik Dittrich), die an die Neue Deutsche Welle erinnern – und großartig performt werden von Sebastian Röhrle und Benjamin Pauquet, zweien der vier Troll-Darstellern.

Das Publikum ist halbiert - und sieht verschiedene Theaterstücke

Trotzdem ist dieses Porträt weit entfernt von Nostalgie und wohlfeilem Lokalpatriotismus. Grünewald ist ein kluger, differenzierter und vor allem grandioser Theaterabend gelungen. Oder besser: zwei Abende. Denn die Bühne wurde in die Mitte des Kammertheaters verlegt, sodass das auf zwei Seiten sitzende Publikum gänzlich verschiedene Stücke sieht: hier die Tragödie, dort die Komödie. Hier Hans Bayer als Soldat an der Ostfront, dort Thaddäus Troll und die Schwaben.

Die Handlung springt ständig zwischen diesen beiden Zeitebenen – und wird doch verbunden durch Filmeinspielungen und Aufnahmen, die die Schauspieler permanent mit der Videokamera machen. Die Bühne (Michael Köpke) ist ein Filmstudio samt Greenscreen: alle Aktionen, die in dem grünen Raum stattfinden, werden in Aufnahmen des heutigen Stuttgarts hineinmontiert. Auf der Rückseite dagegen stapfen Giovanni Funiati undJannik Mühlenweg als Soldaten durch Kies oder tauchen die Hände in blutigen Matsch.

Film und Theater greifen raffiniert ineinander

Das klingt kompliziert, ist aber ein köstliches Vergnügen. Raffiniert greifen Film und Theater ineinander, zudem wartet das spielfreudige Team mit großartigen Einfällen auf. So wurden Passanten befragt, warum sie nicht ins Staatstheater gehen, ihre Antworten werden aber von den Schauspielern auf Schwäbisch eingesprochen – ein höchst komischer Effekt. Hier scheinen die Schauspieler über Stuttgart zu fliegen, dort rennen sie in Autoreifen wie Mäuse im Rad.

Man merkt aber auch, dass Gernot Grünewaldweiß, wovon er erzählt. Er wurde 1978 in Stuttgart geboren und war, bevor er sich als Regisseur auf Rechercheprojekte konzentrierte, einige Jahre Schauspieler im Ensemble des Staatstheaters. In seinem Troll-Abend schlagen Videobilder vom aktuellen Stuttgart den Bogen in die Gegenwart und machen bewusst, wie radikal sich die Stadt längst von den Klischees befreit hat, die Troll scharfzüngig benannte. Man erfährt aber auch vom Lebensgefühl in der Nachkriegszeit, als man noch „Schlafleute“ in der Wohnung hatte und Soldaten versuchten, in den Alltag zurückzufinden und mit den Kriegserlebnissen fertig zu werden.

Troll ging keineswegs offen mit seiner Rolle als Kriegsberichter um

Als Troll aus der Gefangenschaft zurückkehrt, schließt er einfach die Haustür auf – er hatte den Schlüssel den gesamten Krieg über in der Tasche. Er beginnt ein neues Leben und sprach nicht mehr über den Krieg. Er schrieb zwar, dass er mit „tiefer Scham“ auf das zurückblicke, was er gesehen und erlebt habe. Aber ganz so selbstkritisch, wie im Kammertheater dargestellt, ging Troll nicht mit der eigenen Vergangenheit um – zumindest nicht öffentlich. Erst 2013 brachte die Biografie von Jörg Bischoff ans Licht, dass Troll Kriegsberichterstatter und also Teil des NS-Propagandaapparates war. Nicht einmal seine Kinder wussten, dass er sich bei den Propagandakompanien aktiv beworben hatte. Die rassistischen und antisemitischen Töne in seinen Texten mögen gefordert gewesen sein, aber Bayer war auch ehrgeizig und arbeitete sich zum Schriftleiter der Armeezeitung „Der Sieg“ hoch.

Er sei der Wahrheit zuweilen aus dem Weg gegangen, heißt es nur beiläufig im Kammertheater, die Heuchelei sei ihm zum Selbstverständnis geworden. Troll haben das Schweigen und die Schuld letztlich depressiv werden lassen. Und so endet dieser höchst komödiantische wie berührende Abend so tragisch wie Bayers Leben. 1980 brachte sich der immer ironische Autor mit 66 Jahren um.