Die Netflix-Prachtserie „The Crown“ geht in die fünfte Staffel. Was bringt sie? Und was hat sie mit der Wirklichkeit zu tun?
Schloss Windsor, zu Beginn der 1990er Jahre: Muss die Königin jetzt in Rente gehen? Der Auftakt der neuen, der fünften Staffel der Netflix-Prachtserie „The Crown“ könnte nicht beziehungsreicher sein zu den royalen Ereignissen jüngerer Zeit: Elizabeth Windsor, die britische Monarchin, unterzieht sich zu ihrem 65. Geburtstag einem gründlichen medizinischen Check-up. Der Arzt horcht, klopft, misst und begutachtet alles ganz genau – aber rein körperlich spricht nichts dagegen, dass die Queen weiter ihren Aufgaben als Souverän nachkommt.
Das Problem sitzt an anderer Stelle, in den Tiefen der Familie: Ihr ältester Sohn Charles findet, es wird höchste Zeit, der Monarchie neuen Schwung, einen moderneren Touch zu geben – und dass er als Mittvierziger dafür der richtige Mann ist. Also inszeniert er in der „Sunday Times“ und mithilfe einer Queen-kritischen Meinungsumfrage eine veritable Intrige gegen die eigene Mutter: Wäre das anstehende Vierzig-Jahr-Jubiläum von Elizabeths Krönung nicht der passende Augenblick für den Generationswechsel? Eine Mehrheit der Befragten sagt: Yes!
Erst William kann Verjüngung bringen
Wir wissen heute, es ist gründlich anders gekommen: Schlussendlich hatte die Queen bis zu ihrer Todesstunde am 8. September 2022 die gefühlte Ewigkeit von siebzig Jahren lang den britischen Thron inne. Tag und Nacht standen die Briten vor Westminster Hall Schlange, um für ein paar Sekunden persönlich an ihrem aufgebahrten Sarg ihre Trauer zeigen zu können. Ein nicht geringer Teil solcher Verehrung rührte ja wohl just daher: dass Elizabeth Windsor ihre Pflichten als Souverän bis zum letzten Tag ihres Lebens erfüllt hat. Und ihr Nachfolger Charles III. mag als fast 74-Jähriger noch so viele Neuerungen im Sinn haben – den avisierten Generationswechsel kann es nun höchstens nach seinem eigenen Tod geben, wenn sein Sohn William die Nachfolge antreten wird.
„Harry Potter“ lässt grüßen
Zumindest für die fünfte „Crown“-Staffel (die sechste wird gerade gedreht) halten wir fest: Mission gelungen, Qualität gleichbleibend hoch. Die Dramaturgie ist dicht, die Spannung riesig – obwohl man ja fast immer genau weiß, wie sich die Dinge entwickeln werden. Und die politische Zeitgeschichte bleibt ständig präsent. Auch die hier komplett neue Besetzung ist vom Feinsten: Jonathan Pryce als Prinz Philip, Dominic West als Charles, Elizabeth Debicki als Diana, das sind alles Top Names der englischsprachigen Schauspielwelt, die zu keiner Sekunde im bloßen Look-alike-Contest mit ihren prominenten Vorbildern stehen, sondern aus großer Kraft eigenständige Filmcharaktere entwickeln.
Auch die neue Elizabeth alias Imelda Staunton erinnert nur ganz kurz zu Beginn noch an die garstige Oberlehrerin Dolores Umbridge, als die sie in den späten „Harry Potter“-Verfilmungen weltberühmt wurde, sondern ist schnell das, was sie in den zehn Folgen dieser fünften Staffel vor allem sein muss: eine Queen im Dauerkrisenmodus.
Selbst ein Premierminister Major kann spannend sein
Denn die Jahre 1991 bis 1996, um die es nun bei „The Crown“ geht, sind ja tatsächlich die Großkrise für Elizabeth: Die Royal Family zerbröselt. Die Ehen der Kinder scheitern. Vor allem Charles und Diana liefern sich einen öffentlichen Dauerkrieg, den die Princess of Wales dank einer aus schierer Verzweiflung genährten Medienaffinität für sich zu entscheiden weiß. Serienautor Peter Morgan bleibt bei seinem Erfolgsrezept, das Geschehen nicht einfach chronologisch nachzubilden, sondern jede Folge aus dem Blickwinkel einer anderen Figur zu erzählen.
So bieten sich auch für Lesley Manville als Prinzessin Margaret große Schauspielmomente, so gibt es plötzlich einen völlig überraschenden Rückblick auf das Kairo der Nachkriegszeit, wo ein kleiner Junge namens Mohamed al-Fayed (Salim Daw), der einmal seinen Sohn Dodi nennen wird, auf den Straßen Coca-Cola verkauft, so werden auch scheinbare Nebenfiguren wie der konservative Premierminister John Major (Johnny Lee Miller) zu energischen Mitspielern aufgebaut. So faszinierend es für den Zuschauer auch ist, in den zehn neuen Folgen den großen Bildtableaus zu begegnen, die man insbesondere aus dem Lady-Di-Boulevard-Fotoalbum noch fest in Erinnerung hat – die wirklich spannenden Passagen bietet auch diese „Crown“-Staffel nicht in der Bildtotalen, sondern in ihren intimen Kammerspielszenen, wenn sich das Königinnendrama aus Shakespeare-Tradition mit dem Psychodrama eines Ibsen- oder Strindberg-Theaterabends verknüpft.
Hier wird alles zur Systemfrage
Denn warum schauen wir so gebannt diesen Menschen zu, die rein äußerlich gar nichts mit uns zu tun haben? Weil sie uns eben doch nahegehen: Alle haben sie eigentlich ein Recht auf individuelles Glück und Selbstverwirklichung. Alle streben sie danach wie überall auf der Welt. Aber sie sind eben keine normalen Menschen. „Wenn wir eine normale Familie wären“, redet Prinz Philip Diana ins Gewissen, „könnten wir uns ganz normal öffentlich belügen und betrügen. Aber wir sind das System.“
An den Regeln dieses Systems kann man sich reiben. Doch seine Grenzen zu überschreiten, das muss in die Katastrophe führen. Muss es wirklich? Die fünfte Staffel führt an ihrem Ende ein Leitmotiv zum Abschluss und ist doch auf geniale Weise nach vorn offen. Denn „The Crown“ geht ja weiter.
Wie geht „The Crown“ weiter?
Start
Die fünfte Staffel der Serie „The Crown“ ist vom 9. November an bei Netflix zu sehen. Unsere Empfehlung: Unbedingt das englische Original (mit deutschen Untertiteln) sehen!
Regisseure
Zu den aktuellen Regisseuren gehört auch wieder Christian Schwochow. Der 44-Jährige war 2008 Absolvent der Filmakademie in Ludwigsburg und hat seitdem mit seinen Arbeiten für Kino und TV zahlreiche Fernseh- und Grimme-Preise gewonnen („Bornholmer Straße“, „Bad Banks“). Für Netflix schuf er 2021 das Historiendrama „München – im Angesicht des Krieges“. Für die neue „Crown“-Staffel hat Schwochow gleich zwei Folgen inszeniert.
Zukunft
Die sechste Staffel von „The Crown“ wird gerade gedreht. Ob es danach weitergeht, ist offiziell noch nicht bekannt. Aber kann sich Peter Morgan das Brüder- und Schwägerinnendrama zwischen William und Harry, Kate und Meghan entgehen lassen?