Colin Firth brilliert als stotternder Monarch George VI. in "The King’s Speech". Ein Biopic, das mit pointierten Dialogen nur so gespickt ist.

Stuttgart - Der Duke of York hat Angst, sein Blick ist weh, seine Lippen bewegen sich, als ob sie lautlos letzte Worte formulierten. Ernst und feierlich stehen dunkel gekleidete Männer um ihn herum, auch ein Pfarrer ist dabei, und wenn nun Albert Frederick Arthur George, zweiter Sohn des englischen Königs, tapfer die Treppe zu einem Gerüst hochschreitet, sieht das aus, als ginge er den Gang zum Galgen. Und tatsächlich ist das, was den Vertreter der Windsors erwartet, eine Art öffentliche Exekution: Er soll hier, im Jahr 1925, die große Ausstellung in Wembley eröffnen, er soll eine vom Rundfunk übertragene Rede halten an "die Nation und an die Welt". Das Mikrofon steht bereit, es sieht aus wie ein auf die wartende Menge gerichtetes Geschütz. Doch der Duke of York hat Ladehemmung, er ringt verzweifelt nach Worten, man will ihm als Zuschauer helfen und alles, was sich da angestaut hat, aus ihm herausziehen. Aber außer ein bisschen Gestammel ist nichts zu hören.

Vierzehn Jahre nach diesem katastrophalen Auftritt wird der Stotterer Albert (Colin Firth) erneut vors Mikrofon treten, um vor einer noch größeren Öffentlichkeit zu sprechen. Der Duke of York ist inzwischen nämlich König George VI. geworden, er muss im Jahr 1939 den Kriegseintritt seines Landes gegen Hitlerdeutschland verkünden, und ein Zögern, eine längere Pause, gar ein Schweigen wäre verheerend für die Moral des Landes. Denn er ist als König ja auch sprachlich Vorbild, nicht umsonst ist die gewählteste Ausdrucksweise in Großbritannien, quasi das Hoch- und Höchst-Englisch, nach dem Monarchen benannt: "The King's English"! Nun sieht man also wieder Alberts besorgte Entourage und seine liebevoll-bange Frau Elizabeth (Helena Bonham-Carter), aber auch - und neu hinzugekommen - den Sprachtherapeuten Lionel Logue (Geoffrey Rush), der den König auf dem Weg in die Aufnahmekabine begleitet. Doch wir greifen vor, der Regisseur Tom Hooper inszeniert diese Rede erst am Ende und als Höhepunkt seines Films. Zuvor erzählt er, wie sich ein Mann königlichen Geblüts von einem einfachen Australier behandeln lässt und wie die beiden schließlich Freunde werden.

Mit schülerhafter Freude schreit er "shit" und "fuck"


Mitte der dreißiger Jahre, als Alberts älterer Bruder Edward (Guy Pearce), im Film nur David genannt, sich in die zweimal geschiedene Amerikanerin Wallis Simpson (Eve Best) verliebt, deutet sich das königliche Schicksal des Duke of York schon an.Zu Hause sieht man ihn als sympathisch-humorvollen Vater, der seinen Töchtern Margaret und Elizabeth (der heutigenKönigin!) am Kamin Gutenachtgeschichten erzählt, ein bisschen stockend hie und da, aber entspannt und guten Mutes. Da draußen aber, wo er repräsentieren muss, wo die großen und historienbeladenen Räume von ihm Großes und Historisches zu erwarten scheinen, stottert er immer noch heftig.

Nach vielen schlechten Erfahrungen mit Sprachlehrern - diese Murmeln im Mund! - fährt seine Frau durch London, das Schild "Harley Street" schält sich aus dem Nebel, in dieser Straße der Ärzte und Therapeuten hat der ebenso selbstbewusste wie unkonventionelle Lionel Logue sein geräumiges, aber etwas heruntergekommenes Studio. Er komme gleich, er sei noch auf dem Klo, ruft er. Sie wolle einen Mister Johnson anmelden, sagt sie, einen Mann, der öffentliche Reden halten müsse. Mister Johnson solle doch einfach den Job wechseln, rät Lionel.

Dann spricht der Duke of York in jedem Sinne selber vor, lässt sich herab auf das zerschlissene Sofa und nach der ersten Empörung sogar darauf ein, nicht "Your Royal Highness", sondern wie im Kreis seiner Familie einfach "Bertie" genannt zu werden. Trotzdem wird es ein langer Kampf zwischen zwei intelligenten Männern mit starkem Willen - und für den Zuschauer zu einem schauspielerischen Genuss! Irgendwann sträubt Bertie sich nicht mehr, er singt die Sätze, die anders nicht herauskommen wollen, er schreit mit schülerhafter Freude böse Ausdrücke wie "shit" und "fuck", und er liest, während Musik ihn von den eigenen Worten ablenkt, recht flüssig den berühmten Hamlet-Monolog vor. (Überhaupt ist dies ein Film voller Shakespeare-Zitate.) Schließlich wird Logue vom Verhaltens- zum Psychotherapeuten und entlockt seinem Patienten Sätze über eine grausame Kindheit mit überstrengem Vater, sadistischer Erzieherin und eine Krankheit, die ihn lange ans Bett fesselte.

Eine mahnende Erinnerung für die derzeitige Windsor-Besetzung


Eine königliche Kindheit kann etwas Schreckliches sein, so wird hier suggeriert. Aber der sehr süffig und im nostalgischen Sepiaton inszenierte Film ist keineswegs monarchiekritisch, er blickt nicht hinter die Kulissen, um zu denunzieren oder kleinzumachen, er wirbt vielmehr um Verständnis für die harte Arbeit dieser Familie, die Bertie seinem Vater (Michael Gambon) gegenüber mal als Firma bezeichnet. Bertie ist dann derjenige, der diese Firma eigentlich nicht übernehmen will und es doch tut, als sie in Not gerät. Sein Bruder David, nach dem Tod des Vaters zunächst König geworden, hat nämlich kurz danach schon wieder abgedankt. Er will seine Geliebte heiraten, was hier aber nicht, wie so oft inder populären Geschichtsschreibung, als Ausdruck romantischer Liebe gefeiert, sondern als pflichtvergessener Akt eines Schwächlings kritisiert wird. Mehr noch: in diesem Film spielt sich Wallis Simpson, die ihren David wie einen Diener nach Champagner schickt, zur Hassfigur hoch.

So steht Albert alias George VI. im Vergleich zu seinem Bruder als der viel würdigere Windsor da. Diese Geschichte eines Stotterers, die paradoxerweise mit pointierten Dialogen nur so gespickt ist, löst ihren Helden zwar aus der Distanz der Königsrolle heraus, aber dass sie ihn als Menschen nahebringt, heißt keineswegs, dass sie ihn auch kleiner macht. Im Gegenteil: dieser Mann und König zeigt gerade dadurch seine wahre Größe. So wie schon Stephen Frears' Film "The Queen" (2006), in dem Helen Mirren als Elizabeth II. auftritt, am Ende zur Feier der Monarchie samt aller ihrer Pflichten wird, so preist letztlich auch "The King's Speech" die englische Krone. Er ist aber auch mahnende Erinnerung für die derzeitige Windsor-Besetzung, gerade in diesen unruhigen Zeiten das Privatleben unterzuordnen und die Werte der Firma hochzuhalten. Tom Hooper hat einen monarchietragenden Film inszeniert, dies aber so publikumswirksam, dass , wenn sich George VI. jetzt seiner großen Aufgabe stellt. Ruhe bitte! Der König spricht...

The King's Speech. Großbritannien, Australien, USA 2010. Regie: Tom Hooper. Mit: Colin Firth, Geoffrey Rush, Helena Bonham-Carter, Michael Gambon. 118 Minuten. Ohne Altersbeschränkung. Ab Donnerstag im Atelier am Bollwerk, Cinemaxx Mitte und SI, EM, Gloria