„The Voice of Germany“ setzt auf die Stärken der Kandidaten, nicht auf ihre Schwächen. Doch revolutioniert sie das in Verruf geratene Genre tatsächlich?

Stuttgart - Max kann was. Aber was Max kann, kann Laura schon lange. Immerhin hat die 32-jährige Sängerin schon das Auswahlverfahren bei Dieter Bohlen überlebt. Das war 2007, in der Castingshow „Deutschland sucht den Superstar“ („DSDS“). Laura Martin kam unter die letzten zehn Kandidaten, flog dann aber als Erste raus. Einige Zuschauer rieben sich verwundert die Augen. Sie war schließlich nicht irgendwer. Als Frontfrau des Chartstürmers Captain Jack hatte sie schon Millionen CDs verkauft. Jetzt ist Laura Martin wieder zurück – bei einer Castingshow, die ganz anders ist als „DSDS“ und Co. Sie heißt „The Voice of Germany“, und wenn Max gegen Laura antritt, dann singt er mit ihr zusammen ein Duett, das belebt den Kampfgeist. Dazu passt die Empfehlung seines Jurors: „Der Max muss aufpassen, dass er nicht gehörig den Hintern von der Laura versohlt bekommt.“

 

Der Rat stammt von dem R ’n’ B-Sänger Xavier Naidoo . Vergleicht man ihn mit den fiesen Kommentaren, mit denen Dieter Bohlen, Detlef D! Soost oder Heidi Klum ihre Kandidaten traktieren, dann wirkt er rührend besorgt. Doch genau das zeichnet diese neue Castingshow aus. Sie schlägt ihr Kapital aus den Stärken der Kandidaten, nicht aus ihren Schwächen.

Die Juroren als Motivationstrainer

Seit November läuft die Show des holländischen TV-Produzenten John de Mol abwechselnd bei den Schwestersendern Pro Sieben und Sat 1 und schon jetzt gilt sie als Überraschungserfolg des Jahres. Bis zu fünf Millionen Zuschauer sitzen donnerstags und freitags vor dem Bildschirm, wenn Xavier Naidoo, Nena, Rea Garvey und die Jungs von der Berliner Countryband The Bosshoss ihre Schützlinge fit für die Bühne machen.

Die Juroren verstehen sich als Motivationstrainer. Das unterscheidet „The Voice“ von anderen Castingshows. „Tschaka, tschaka“ statt „tschüss!“. Im Gegensatz zu Bohlen & Co. brauchen die Trainer nicht bei null anzufangen, denn bei den meisten Teilnehmern handelt es sich um Musicaldarsteller, Castingshow-Veteranen oder Popsternchen wie Laura Martin. Es sind Profis, die bestenfalls noch Feinschliff benötigen.

Ob sie den in der Sendung bekommen, darf jedoch bezweifelt werden. Aufnahmen von zähen Nachhilfestunden erspart die Show ihren Zuschauern. Lieber zeigt die Kamera die Juroren dabei, wie sie die Früchte ihrer Arbeit genießen. Vor der sogenannte Battle-Phase drehten sie sich schwungvoll in ihren Sesseln, wenn ein Song durch die Decke ging.

Nena gebärdet sich wie ein zappeliger Teenager

Nena, das Fräuleinwunder der Neuen Deutschen Welle, scheint dabei ein paar Umdrehungen zu viel abbekommen zu haben. Auch mit fünfzig Jahren gebärdet sie sich wie ein zappeliger Teenager, der den Benimmunterricht geschwänzt hat. Ihre schlichten Kommentare reichen von „ süß“ bis „Mann, ey!“. Wenn sie begeistert ist, klingt das so: „Leute, ich krieg nen Anfall“. Die Kritik ihres Jurykollegen Xavier Naidoo ist da schon differenzierter. Im Gegensatz zu Nena kann er auch singen. Von ihm können die Kandidaten wirklich etwas lernen. Zum Beispiel, dass „es richtig drecksohrmäßig klingen muss“, wenn man sich an den Song „Dance with somebody“ von Mando Diao wagt.

Was zählt, ist die Performance. Das ist das Erfolgsrezept dieser Show. Sie vermittelt die Botschaft, dass sich Leistung wieder lohnt. Und dass man alles schaffen kann, wenn man nur hart genug an sich arbeitet. „Der Trick, Leute vor die Kamera zu zerren, die dann musikalisch umgebracht werden, funktioniert nicht mehr“, sagt John de Mol, der diese neue Form der menschenfreundlichen Castingshow erfunden hat. Es sind ganz neue Töne, die der holländische Erfolgsproduzent da anschlägt. Schließlich war er derjenige, der der medialen Hinrichtung von Castingshowkandidaten erst den Weg geebnet hatte. Das war im Jahr 2000. John de Mol sperrte ein Dutzend Probanden in einen Container und lieferte sie rund um die Uhr den TV-Kameras aus. „Big Brother“ , so nannte er dieses Experiment in Anlehnung an den totalitären Überwachungsstaat, den George Orwell in seinem Roman „1984“ entworfen hatte. Die Empörung über dieses Format sollte schnell verpuffen. Das Prinzip Big Brother verbreitete sich wie ein Virus mit dem Genre der Dokusoap.

Der „Affenzirkus“ hat seinen Zenit überschritten

Heute regt sich kaum noch ein Zuschauer auf, wenn das Fernsehen arglose Laiendarsteller in Sendungen wie „Frauentausch“ oder „Schwiegertochter gesucht“ bei ersten ungeschickten Bügel- oder Flirtversuchen gnadenlos bloßstellt. Der voyeuristische Reiz, normalen Leuten durch ein Schlüsselloch in pikanten Situationen zuzuschauen, hat sich längst abgenutzt. Immer häufiger wird die Realität deshalb „gescriptet“ – will heißen, die Darsteller agieren nach Drehbüchern.

Das gilt auch für die konventionellen Castingshows. Die Talentsuche musste zuletzt nur noch als Vehikel herhalten, um regelrechte Dramen um die Kandidaten zu inszenieren. Inzwischen gilt das Genre als ausgemolken. Die Produzenten haben alle erdenklichen Schicksalschläge einmal durchgenommen, vom Knastaufenthalt bis zur unheilbaren Krankheit. Dass „DSDS“ und „Das Supertalent“ diesem Abwärts-trend der Quoten immer noch trotzen, verdanken sie in erster Linie dem medialen Rauschen, das der Boulevard frei Haus zu diesen Seifenopern liefert.

So gesehen hat John de Mol tatsächlich recht. Der konventionelle „Affenzirkus“ hat seinen Zenit überschritten. „The Voice of Germany“ profitiert von der gestiegenen Sehnsucht nach Authentizität. Dass auch diese Castingshow ihr Publikum täuscht und am Ende keinen neuen Star hervorbringen wird, das ist wieder eine andere Geschichte.

Sendetermine Immer donnerstags auf Pro Sieben und freitags auf Sat 1, 20.15 Uhr.