Die Schriftstellerin Thea Dorn hat ihr Buch "Die deutsche Seele" im Literaturhaus vorgestellt. Mit ihrem Kollegen Richard Wagner erkundet sie, was typisch deutsch ist.

Psychologie und Partnerschaft: Eva-Maria Manz (ema)

Stuttgart - "Ich habe mich mit dem Bundeskleingartengesetz und den Bier- und Wurstsorten beschäftigt, ebenso wie mit den Weimarer Verfassungstexten oder den Werken von Ludwig Tieck", erzählte Thea Dorn am Montagabend im Stuttgarter Literaturhaus. Der deutsche Wald, das Reinheitsgebot und die Freikörperkultur, der Bergfilm, die Dauerwelle, Spargelzeit, Winnetou und Feierabend - das sind alles "typisch deutsche" Begriffe, denen die Schriftsstellerin Thea Dorn und ihr Kollege Richard Wagner in "Die deutsche Seele" auf den Grund gehen. Eine Art Enzyklopädie ist daraus geworden, ein A bis Z des Deutschseins, das sich mittlerweile auf der Spiegelbestsellerliste wiederfindet.

 

"Die deutsche Geschichte ist ein vermintes Terrain, das kann man nicht leugnen", sagte Thea Dorn, als Moderator Uwe Kossack vom SWR zu Beginn der ausverkauften Lesung im Literaturhaus wissen wollte, wie es überhaupt dazu kommt, dass sich Autoren einem solchen Thema widmen. Genau auf diesen Zug wollten die Autoren aber wohl nicht aufspringen, als sie sich mit allem beschäftigten, was landläufig als typisch deutsch gelten könnte. Sie habe ein "Gespür" für die deutsche Geschichte entwickeln wollen, sagte die Autorin. Dieses Gefühl habe ihr zuvor immer gefehlt, im Geschichtsunterricht der Schule lande man irgendwann meist einfach nur noch bei 1933 und verliere den Blick darauf, was davor war und danach kam. Die deutsche Seele, das Wesen, die Geschichte der Deutschen, sozusagen der ganze Diskurs über das Deutschsein, ist geprägt von tiefster Zerrissenheit - und genau das war es, was die Autoren faszinierte und interessierte: die Brüche.

Komplexe kultur- und literaturwissenschaftliche Detailarbeit

Dabei könnte man erwarten, dass es hier wieder einmal vor allem darum geht, von einem neuen Gemeinschaftsgefühl nach der WM 2006 zu sprechen, von den Romantikern und der Loreley und von der Schreckensherrschaft der Nationalsozialisten. Doch allein der Titel der Enzyklopädie verweist auf eine profundere und komplexere Auseinandersetzung mit einem Thema, das kommerzieller und oberflächlicher ausgeschlachtet auch einfach "Typisch deutsch" hätte heißen können. Doch Dorns und Wagners Enzyklopädie ist nicht nur eine Ansammlung amüsanter Anekdötchen, sondern zeichnet sich durch komplexe kultur- und literaturwissenschaftliche Detailarbeit aus.

Die Deutschen, das zeigte sich im vorgelesenen Kapitel über den Wald, sind Märchenerzähler, sie schicken Rotkäppchen zum bösen Wolf, Hänsel und Gretel in den Wald zur Hexe. Stifter, von Eichendorff, Jünger, Musil, sie alle verirrten sich in den Wald, fanden im Wald zur kindlichen Einsamkeit zurück, der Wuost-waldi, wie im Althochdeutschen schon der wüste Wald bezeichnet wurde, hat es den Deutschen angetan. Deshalb wollen sie ihn auch nicht nur mit ihren gruseligen oder romantischen Märchen und Erzählungen bespielen - sie versuchen paradoxerweise auch, ihn mit streng ökonomischen und rationalen Techniken der Forstwirtschaft untertänig zu machen, ihn irgendwie in den Griff bekommen. Nirgendwo wird der Wald so straff und nachhaltig bewirtschaftet, wird so viel darüber geschrieben und theoretisiert wie bei den Deutschen.

Die Deutschen liebten es "zu nackten"

Ähnlich geht es uns wohl mit der Reinheit, wie Thea Dorn in einem entsprechenden Kapitel herausgearbeitet hat. Clementine musste einst sagen: "Ariel wäscht nicht nur sauber, sondern rein." Luther hingegen löst mit seinen Reformen teilweise zwar bigotte Missstände und Doppelmoral in der Gesellschaft auf, seine Einführung der Ehe für Geistliche fußt dennoch auf einem widersprüchlichen Argumentationskonstrukt, wie Thea Dorn andeutete, vielleicht eine Art Verlegenheitslösung, um trotz Fleischeslust irgendwie rein bleiben zu können.

Nicht nur rein, zeitweise auch unbedingt splitterfasernackt wollen die Deutschen sein. Beispielsweise in der Lebensreformerbewegung. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts hatte man hierzulande ein verstärktes Bedürfnis danach, sich seiner Kleider zu entledigen und stundenlang "gemeinsam zu nackten" (Dorn: "So ein schönes altes deutsches Verb!"). Am Motzener See, südöstlich von Berlin, bauten sie Freikörperareale auf, gleichzeitig schufen sie Verordnungen, die diese Bereiche einzäunten, uns zwar mit "astlochlosen Bretterzäunen", damit sich die ahnungslos vorbeispazierenden Bekleideten nicht von den nackten Körpern belästigt fühlen. Hermann Hesse ist im reich bebilderten Buch von Thea Dorn beim Nacktklettern abgebildet, von Kafkas in unbekleidetem Zustand praktizierter Morgengymnastik gibt es leider keine Fotos.

"Ich habe den Verdacht", sagte Thea Dorn am Ende des Abends im Literaturhaus, "dass Deutschland immer dann große und gute Zeiten hatte, wenn die Zerrissenheit fruchtbar gemacht werden konnte." Die Autorin schwärmte von "dem Wagemut, der Kraft, dem Irrsinn" vieler Komponisten und Künstler des 18. und 19. Jahrhunderts. "Heute sind wir in einem der langweiligsten Deutschlands, die es in den vergangenen Jahrhunderten gegeben hat", meinte Dorn. Die Stimmung sei von Angst und Abschottung geprägt, Komplizierters wolle man sich aneignen, es einordnen oder verniedlichen. So sei es beispielsweise mittlerweile auch mit den Schriften Martin Luthers geschehen: Das "Deftige, Wildsauhafte, die Ruppigkeit und Anstößigkeit" in seinen Texten sei "inzwischen völlig weggekuschelt."