Die Theater in Stuttgart nutzen den Sommer, um Darsteller für ihre Stücke und Musicals zu finden. Darunter das Musical "Rebecca".  

Stuttgart - Die Nerven der 23-jährigen Lena Brandt und der 32-jährigen Valerie Link sind gespannt wie Drahtseile. Jetzt heißt es für die beiden Künstlerinnen: nur nicht den Text vergessen, beim Singen die richtigen Töne treffen - und vor allem: souverän bleiben. Denn beim finalen Casting zum Musical "Rebecca", das von Dezember an im Stuttgarter SI-Zentrum zu sehen sein wird, mussten die beiden Frauen im August vor einer hochkarätig besetzten Jury zeigen, was schauspielerisch, gesanglich und tänzerisch in ihnen steckt. Schließlich wünschen sich beide nichts sehnlicher, als im Musical, das auf dem Roman "Rebecca" von Daphne du Maurier basiert, die Rolle des jungen Mädchens "Ich" zu spielen. 

 

Lena und Valerie sind zwei von insgesamt 130 Castingteilnehmern, die aus rund 1000 Bewerbern ausgewählt und zu einer dreitägigen Endrunde ins Stage Palladium Theater eingeladen wurden. Doch obwohl Valerie bereits die Hexe Glinda im Musical "Wicked" gespielt hat und Lena Erfahrungen mit Stücken wie dem Gospelmusical "Jordan" oder der Operette "Die Fledermaus" sammeln konnte, sind beide vor ihrem Auftritt sehr angespannt. "Ich hoffe einfach, dass es bald vorbei ist", sagt Lena kurz vor ihrer Gesangspräsentation.

Und auch Valerie hofft, dass ihr "die Nervosität nicht alle Souveränität raubt". Doch kaum stehen die beiden vor der Jury, scheint die Aufregung wie weggeblasen. Beide tragen den Musicalsong "Zeit in einer Flasche" fehlerfrei und voller Gefühl vor. Und auch die Tanzchoreografie, die sie in kürzester Zeit einstudieren mussten, bereitet keiner von beiden Probleme. Doch bis die endgültige Entscheidung fällt, wer die begehrte Rolle der "Ich" bekommen wird, werden der Produzentin Simone Linhof zufolge noch einige Tage oder sogar Wochen ins Land gehen.

Unterschiedliche Charaktäre sind besonders interessant

"Die Schwierigkeit der Rolle besteht darin, dass sich die ,Ich' im Laufe des Stücks von einem unschuldigen Mädchen in eine selbstbewusste Frau verwandelt", erklärt Simone Linhof beim Casting. "Deshalb suchen wir eine Darstellerin, bei der beide Charakterzüge stimmen." Diese Wandlungsfähigkeit wünscht sich auch der Juror und Komponist von "Rebecca", Sylvester Levay. "Valerie hat eher etwas Zerbrechliches, Empfindsames, ist aber dennoch selbstbewusst", so Levay. "Lena ist insgesamt die Selbstbewusstere", sagt er. Solche unterschiedlichen Charaktere, so Sylvester Levay, seien für die Jury besonders interessant - gerade, wenn es um die Erst- und Zweitbesetzung gehe. Denn diese sollten dem Komponisten zufolge möglichst verschiedene Züge aufweisen.

Die Tage oder Wochen bis zur endgültigen Vergabe der Rolle werden Lena und Valerie wohl noch viele Nerven kosten. Schließlich kommen außer ihnen noch andere Bewerberinnen für die "Ich" infrage. "Im Moment sind noch zwischen drei und fünf Künstlerinnen im Rennen", erklärt der Castingdirektor des Musicalunternehmens Stage Entertainment, Ralph Schädler. "Unter diesen müssen wir jetzt die richtige Besetzung finden."

Oft benötigt man Künstler aus dem Ausland

Dass die Wahl der passenden Darsteller nicht immer einfach ist, weiß auch der Regisseur und künstlerische Leiter des Stuttgarter Friedrichsbau Varietés, Ralph Sun. Er sieht sich das ganze Jahr über Bewerber an und sucht für die jeweils geplante Show die geeigneten Darsteller aus. Jedes Jahr ist er so mit mehr als 1000 Künstlern in Kontakt. "Wir achten immer sehr darauf, dass die Leute nicht nur ihre eigene Nummer wie die Jonglage oder die Trapezkunst beherrschen, sondern auch schauspielerisch versiert sind", erklärt Sun. Dazu, so der Regisseur weiter, sei es oft notwendig, Künstler aus dem Ausland für eine Show zu gewinnen. Bei der Suche nach den jeweiligen Talenten sei er deshalb auf Castingscouts angewiesen, die ihm regelmäßig außergewöhnliche Künstler vorschlagen.

Wesentlich seltener muss sich hingegen der Intendant des Stuttgarter Renitenztheaters, Sebastian Weingarten, um Schauspieler bemühen. Denn auf seiner politisch-satirischen Kabarettbühne werden nicht nur Eigenproduktionen, sondern auch häufig Gastspiele gezeigt, bei denen die Besetzung bereits feststeht. So lädt der 54-Jährige in der Regel nur einmal pro Jahr Künstler zum Vorsprechen ein. "Immer dann, wenn wir ein neues Stück vorbereiten, sprechen wir Leute an, die sich im Laufe des Jahres bei uns beworben haben oder die wir schon aus früheren Produktionen kennen", so Weingarten. "Dabei achten wir darauf, dass der jeweilige Darstellertyp zur Rolle passt, und natürlich, dass er das entsprechende schauspielerische Können aufweist."

Welche Eigenproduktion es als Nächstes zu besetzen gilt, weiß Weingarten noch nicht. Doch sobald die Entscheidung gefallen ist, macht auch er sich wieder auf die Suche nach den passenden Gesichtern für seine Renitenzbühne. Dann heißt es auch für die Kabarettbewerber wieder: üben und souverän vorsprechen für eine Rolle auf den Brettern, die die Welt bedeuten.