Theater in Ditzingen Wie viel Spontaneität steckt im Impro-Theater?
Theater ohne Drehbuch – wie toll das funktionieren kann zeigt in Ditzingen (Kreis Ludwigsburg) die Improvisationstheatergruppe Spielfältig. Ohne Hilfe des Publikums geht da nichts.
Theater ohne Drehbuch – wie toll das funktionieren kann zeigt in Ditzingen (Kreis Ludwigsburg) die Improvisationstheatergruppe Spielfältig. Ohne Hilfe des Publikums geht da nichts.
Das Publikum ruft: „Drei, zwei, eins, los!“. Die neue Szene auf der Bühne beginnt. Drei Schauspieler befinden sich fiktiv in einem Klassenzimmer. Sie streiten über nicht gemachte Hausaufgaben und rennen über Tische und Stühle. Der Moderator klatscht in die Hände. Plötzlich wird aus dem Klassenzimmer ein Stück Käse und aus den Schülern drei Mäuse. Die Spieler übernehmen die Bewegungen der Szene und bauen sie spontan in die neue Situation ein.
Beim Improvisationstheater kann es durchaus chaotisch zugehen. Szenen und Schauspieler wechseln blitzschnell und auch das Publikum mischt sich immer wieder ein. „Beim Impro-Theater geht es darum, Szenen ohne einstudierte Texte und ohne Requisiten zu spielen. Wir kreieren Geschichten mithilfe des Publikums, und legen den Fokus auf Comedy“, erklärt Aileen Gedrat das Konzept. Die 27-Jährige ist Teil der neuen Improgruppe „Spielfältig“. Seit Anfang des Jahres tritt die Gruppe gemeinsam auf. Im Ditzinger Zeltcafé hatte sie nun ihren größten Auftritt. „Die Gruppe ist aus verschiedenen Kursen des Stuttgarter Improvisationstheater-Ensemble ,Kanonenfutter‘ erwachsen“, berichtet Mario Schwartz, ebenfalls Mitglied bei Spielfältig. Einige der Teilnehmer haben auch über die Kurse hinaus aktiv bleiben wollen. So habe sich nach und nach Spielfältig ergeben. Neun Mitglieder stehen zur Zeit gemeinsam auf der Bühne. „Jetzt müssen wir uns selbst organisieren und selbst entwickeln was wir trainieren wollen“, sagt Schwartz.
Trainieren? Heißt das, die Szenen sind doch gar nicht so improvisiert wie gedacht? „Impro-Theater hat meist ein Grundgerüst. Innerhalb dieses Rahmens reagieren wir dann spontan und improvisiert aufeinander und Zurufe des Publikums“, erklärt Gedrat. Dieser Rahmen besteht aus einzelnen Spielen, die etwa zehn Minuten gehen. Es gibt allerdings auch Langformen die über 45 Minuten eine Geschichte erzählen.
In Zukunft wolle die Gruppe sich auf die Langform konzentrieren. Bei den meisten Formaten fragt der Moderator das Publikum nach Begriffen oder Buchstaben. „Hier kann die Moderation natürlich auswählen was sie uns als Rahmen vorgibt.“ Bei Begriffen wie Klobürste oder Sextoy sei die Gefahr, dass die Szene stumpf oder albern werde, hoch. „Wir suchen aber nicht gezielt die Begriffe aus, die wir schon kennen“, ergänzt Schauspieler Christian Krummel. „Wir sind selber fasziniert von dem, was aus dem Nichts entsteht.“ Das sei für den 56-Jährigen das Besondere am Impro-Theater. „Dass aus einem einzelnen Wort oder einer einzelnen Inspiration eine Geschichte wird.“
Die Schauspieler haben eine Art Methodenkoffer im Kopf. „Wenn es hakt, gehe ich die Checklist mal durch. Wer sind die Charaktere, welche Beziehung haben sie zueinander? An welchem Ort sind wir? Was mach ich mit meinen Händen? Hab ich was zu tun?“ Das gebe den Schauspielern viel Sicherheit auf der Bühne. In den Übungsstunden werde der Fokus auf die einzelnen Spielformen gelegt und geschaut was dem Team besonders spaß mache und wo es sich verbessern wolle. „In der Übung lernt man sich von allem inspirieren zu lassen. Man lernt sich an dieser Inspiration zu inspirieren“, so Schwartz.
Das Spiel A sprich B benötige beispielsweise viel Übung. Hier bewegt Person A den Mund, während Person B spricht und andersherum. „Normalweise besteht dieses Spiel aus drei Spielern. Bei uns ist das aber im Chaos geendet, deshalb fokussieren wir uns auf zwei“, sagt Schwartz. Hinter dem Konzept Impro-Theater stecke viel Übung und viele Fertigkeiten die trainiert werden müssen. Bei all der Spontaneität komme es aber auch vor, dass man sich in etwas verrenne. „Das merkt man natürlich.“ Die Schauspieler versuchen sich dann gegenseitig Rettungsanker zuzuwerfen. „Einer vergisst immer die Namen. Dann sag ich immer, er soll mich nicht bei meinem Zweitnamen nennen“, sagt Gedrat. „Alle wissen er hat einen Fehler gemacht aber man ist damit gut umgegangen. Das ist eine Kunst die man lernen darf.“ Außerdem liebe es das Publikum, die Schauspieler leiden zu sehen. Häufig entwickle sich daraus auch ein Running-Gag des Abends.
Etwa zehn einzelne Szenen spielt Spielfältig pro Show. Michael Dmoch von Kanonenfutter begleitet den Auftritt musikalisch. Die Beiträge des Publikums sind zentraler Bestandteil jedes Auftritts. Wie vielfältig unterhaltsam das Konzept ist, zeigt das Publikum, von Kindern bis Rentner ist alles dabei. „Impro ist ein Format da ist für jeden was dabei“, sagt Krummel. „Der Reiz ist, dass es so unterschiedlich und vielfältig ist. Daher kommt auch unser Name. Du kannst jede Woche die gleiche Gruppe anschauen und du weißt, dass immer wieder was anderes kommt. Andere Szenen, andere Gefühle“, ergänzt Gedrat. Dem Publikum macht es sichtlich Spaß mit ihren eigenen Beiträgen den Verlauf der Show zu beeinflussen. Besonders in Ditzingen sei das Thema Impro-Theater durch den Schulleiter des Gymnasiums in der Glemsaue, Matthias Bochert, präsent. „Der Auftritt war sehr enthusiastisch. Jeder hat alles gegeben und alles mitgemacht“, sagt Zuschauerin Martina Hoffmann. „Ich habe immer großen Respekt vor den Leuten, die da auf Kommando lustig sein müssen“, sagt Marvin Huck.
Die Schauspieler sehen das Impro-Theater und die Auftritte eher als Auszeit vom Alltag und als eine Chance sich selbst anders kennenzulernen. „Man hört endlich auf in der Vergangenheit oder Zukunft zu denken. Man ist so im Hier und jetzt. Da ist Yoga ein Scheiß dagegen“, sagt Gedrat. Für das ganze Team stehe der Spaß im Vordergrund. Christian Krummel sei eigentlich ein introvertierter Typ. „Ich habe schnell gelernt wie ich das, was mich zu einem introvertierten Menschen macht, überliste. Es war sofort ein Energiespender das auf der Bühne rauszulassen.“ Für Schwartz bestehe der Reiz vor allem darin, mit anderen auf der Bühne kreativ zu sein. Der Moment, wenn eine Szene funktioniert, sei einmalig. „Man kann die Momente nicht erzwingen, es ist wie wenn es schneit, man freut sich total aber man weiß nicht was passiert.“