Mit seinem Jubiläumsstück „Die Zelle“ beeindruckt der Marbacher Kulturverein Südlich vom Ochsen in Zusammenarbeit mit dem Theater 360 Grad das Publikum mit einem gewitzten Spiel. Eine Rezension.

Der Kulturverein Südlich vom Ochsen, der im Herbst 1999 gegründet wurde, um „anspruchsvollem Amateurtheater im Marbacher Raum eine Plattform zu bieten“, hat am Wochenende sein 25-jähriges Bestehen gefeiert. Gleich mit drei Veranstaltungsabenden lud der Verein zum Jubiläums-Bühnenstück in den Schlosskeller ein.

 

Der Samstag war den Mitgliedern und den Gästen vorbehalten. Das Programm „Die Zelle“ aber zeigte sich als würdiges Stück für ein Jubiläum und nahm die Zuschauenden im Nu gefangen. Dass es just zur Wahlkampfphase auf die Bühne kommt, erhöht seinen thematischen Reiz noch einmal, denn es geht um das System, das anscheinend nicht mehr funktioniert. Schon der Start war verheißungsvoll: Mit kurzen Monologen traten einzeln jene Schauspieler ins Rampenlicht, die sich als recht skurrile Vertreter einer jeweils eigenen Weltanschauung zu erkennen gaben, die es auch in der gesellschaftlichen Realität zuhauf gibt.

Witzig-schräge Dialoge

Die vier Frauen und zwei Männer sollten sich im Spiel kurz darauf in einer Gruppe wiederfinden, deren Mitglieder sich als Umstürzler verstehen. Nämlich „in einer Welt, in der nix richtig isch und vieles falsch“. Eigentlich wissen die sechs Protagonisten gar nicht, was sie wollen. „Nur besser soll es werden, das ist klar.“ Und genau bei einem solch chaotischen Prozess entspinnen sich knackige und witzig-schräge Dialoge. Das Stück aus der Feder von Hausregisseur Alexander Ilic, der als undurchschaubarer Bernhard auch selbst eine Rolle übernommen hat, ist intelligent wie unterhaltsam gestrickt. Und es schafft auf theatralisch geniale Weise, ein Füllhorn an Parallelen zur Realität auszuschütten, ohne dass einem das Lachen im Hals stecken bleibt.

Witzig-schräge Dialoge auf der Bühne. Foto: Avanti/Ralf Poller

Das liegt einerseits an den Konturen der gewitzt herausgearbeiteten Charaktere, die mit großem Sympathieeffekt agieren und deutlich für ihre jeweilige Position stehen. Und natürlich auch an den krassen Dialogen, die dem Irrenhaus des Lebens entlehnt scheinen. Das Publikum hat dabei vielfach Grund zum Lachen und begleitet, gemütlich auf dem Stuhl sitzend, das Chaosquintett auf der Suche nach dem perfekten Plan.

Alexander Ilic hat ihnen, gemeinsam mit der Regieassistentin Aline Schaupp, ein frisches, temporeiches Spiel an die Seite gestellt, das super Einfälle zeigt und lebhaft sprudelt wie auch fasziniert. Doch das Quintett sucht nicht allein den perfekten Staat und einen (fast) perfekten Menschen, es sucht zunächst auch nach einem Namen. Allein diese Aufgabe zeigt wie uneins die Gruppe ist, wie schwer sich die diversen Ziele umsetzen lassen. Dass hierbei Querdenkern, Besserwissern, Verschwörungstheoretikern oder auch radikal Angehauchten eine schräge Plattform geboten wird, die mit komödiantischer Farce Revolutionsfantasien und Weltverbesserung offenlegt, macht das Spiel reich an Nuancen. Auch legt es gekonnt den Finger in die aktuelle gesellschaftspolitische Wunde und verspottet kunstvoll nebenbei all jene, die nie zufrieden sind, aber ebenfalls an einer Optimierung scheitern.

Dazu zählt auch die selbstverliebt tänzelnde und träumerische Fanny, mit der Nadine Schmid ihre Paraderolle gefunden zu haben scheint. Während die anderen den Widerstand von unten reifen lassen wollen, tritt sie der Welt mit naiven Angeboten entgegen. Sie will „alles raustanzen und rausschreien“, um Neues zu kreieren, verliert sich aber in Eitelkeiten.

Alufolie als Schutz vor Strahlung

Unter Cocos (Aynur Lovric) Deckel dagegen dampft es tüchtig. Die Alleinerziehende will ihre „Indigokinder“ in die Freiheit entlassen und als Lichtgestalten transformiert wissen. Reptiloiden, die „unsere Gedanken rauben“ jagt etwa Slobodan (Kai Lützelberger) nach – stets mit einer Rolle Alufolie in der Hand - der Strahlung wegen. Victoria (Regine Weiß) hingegen, die schon für Robin Wood gekämpft hat, zeigt deutlich radikalere Strukturen, sieht aber ein, dass es besser sei „Probleme zu haben, als schlechte Lösungen“. Birgit Welz kommt spielerisch ein Ausnahmepart zu. Als körperlich übergriffige Kommissarin Andrea Gneiting tritt sie zwar für den Verfassungsschutz ein, bringt aber überraschende und unerwartete Verläufe ins Spielgeschehen ein. Die Zelle ist ein Bühnenstück, das wieder einmal bewiesen hat: Die Akteure vom Verein Südlich vom Ochsen haben es einfach drauf.