Theater in Stuttgart „Am Ende Licht“ im Schauspielhaus
Warum Simon Stephens’ Stück „Am Ende Licht“ eher Märchen als Drama ist und wie Elmar Goerdens deutsche Erstaufführung im Schauspiel Stuttgart ausfällt.
Warum Simon Stephens’ Stück „Am Ende Licht“ eher Märchen als Drama ist und wie Elmar Goerdens deutsche Erstaufführung im Schauspiel Stuttgart ausfällt.
Stuttgart - Am Ende ist alles gut. Na ja, zumindest besser als erwartet. Zur Beerdigung von Christine kommen alle drei Kinder mit ihren Freunden, sorgen sich um den Vater, der dauernd Sachen umstößt und ziemlich derangiert wirkt. Vielleicht, weil er gerade an dem Abend, an dem die Ehefrau starb, mal wieder fremdgegangen war.
Jedenfalls war es nicht zu erwarten, dass eine kaputte Familie, die unter der Alkoholsucht der Mutter Christine stark zu leiden hatte, sich derart zusammennimmt. Simon Stephens (50) aber, der vielfach ausgezeichnete britische Dramatiker, schert sich in seinem Stück „Am Ende Licht“, das am Samstag im Schauspiel Stuttgart zur deutschen Erstaufführung kam, nicht um derlei Theaterkonventionen: dass nämlich auf Hochzeiten und bei Trauerfeiern gern gestritten wird, unterdrückte Konflikte an den Tag kommen.
Was hier gut hätte passieren können. Ashe, alleinerziehende Mutter, hat kürzlich versucht, sich zu erhängen. Steven scheitert gerade an seinem Jurastudium. Grundschullehrerin Jess gerät stets an Freaks, dieses Mal an einen, der lange als Schuldeneintreiber Leute verprügelte. Die Geschwister haben Bindungsprobleme, leiden darunter, dass die Mutter entweder nicht da war oder sturzbetrunken auf Schulhöfen auftauchte.
Desolate Beziehungen, sozial prekäre Verhältnisse, Kommunikation, die nicht funktioniert, Sex und Gewalt – dafür hat der Dramatiker einen außerordentlich geschärften Sinn, wie schon zu Beginn seiner Karriere im Jahr 2003 in Stuttgart zu sehen war, als „Reiher“ und „One Minute“ hier gezeigt wurden. Im Jahr 2019 war sein Drama „Rage“ im Nord zu sehen.
In diesem Stück funktioniert die Kommunikation besser, vielleicht weil hier Tote mit Lebenden sprechen. In einem Monolog, virtuos zwischen Lakonie und Staunen, schildert Sylvana Krappatsch als Christine ihre letzten Minuten im Supermarkt, bevor sie – am Schnapsregal angekommen – an einer Hirnblutung stirbt. Fortan geistert sie durch die Szenerie und gibt zum Beispiel ihrer Tochter Ashe (Nina Siewert) gute Ratschläge, nämlich sich um ihren Sohn zu kümmern, was diese, urplötzlich mit der Mutter versöhnt, auch wirklich verspricht.
Simon Stephens hatte für die Uraufführung 2019 in Manchester Popstar Jarvis Cocker gebeten, eine „Hymne“ zu schreiben, samt „weltlichem Choral“ zum gemeinsam Singen. Auf derlei Gefühlsverstärker verzichtet Regisseur Elmar Goerden in Stuttgart. Lediglich als die schick kühle Supermarktinstallation gen Himmel fährt und die Darsteller nach oben schauen, ist kurz ein herrlich pathetischer Überwältigungssound zu hören.
Die von allem realen Einkaufs- und Sterbeelend enthobene Bühne (entworfen von Silvia Merlo und Ulf Stengl) wird von bocciaartig aussehenden Kugeln geflutet. An der Seite der Bühne sind passend zur Boccia-Assoziation Bänke aufgestellt, auf denen die Schauspieler das Spiel der anderen beobachten, wenn sie selbst gerade Pause haben. Denn Stephens lässt die Paare zeitgleich agieren, und mit dieser Bühnenanordnung lässt sich das elegant durchspielen.
Die Kugeln zeigen dabei die emotionale Lage an, mal auseinandertreibend, mal zusammenstoßend, genauso wie die Figuren mal eher vereinzelt einsam, dann wieder aufeinander zugehend, einander verstehen wollend zusammenkommen. Elmar Goerden konzentriert sich auf die Dialoge, lässt das Ensemble tragikomische Situationen entwickeln. Mit Mikroports ausgestattet, können sie intime Dialoge leise sprechen und sind – meist zumindest – trotzdem gut zu hören.
Die Szenen mit Klaus Rodewalds hektisch Chips futterndem Bernard, der sich mit seiner Geliebten Michaela (Marietta Meguid) und deren Freundin Emma (Therese Dörr) zu einem flotten Dreier verabredet hat, tendieren zum Chargenhaften. Dafür entschädigt eine feine Szene, in der Marietta Meguid sich die Perücke vom Kopf reißt und Bernard mit erstickter Stimme erklärt, warum sie keine Sekunde ihrer Affäre je bereuen wird.
Peer Oscar Musinowskis Joe, der Ashe mit dem Sohn hat sitzen lassen, beteuert nuschelnd, er sei kein Junkie mehr, Nina Siewerts schneidend aggressive Ashe wirft ihn trotzdem raus. Katharina Hauters sich nach Stabilität sehnende Jess hat amüsant anrührende Szenen mit Sebastian Röhrle als täppischem Kerl. Der fuchtelt wild mit großen in grelles Licht getauchten Händen (Licht: Sebastian Isbert), als er beteuert, andere Menschen geschlagen zu haben, nicht aber seine Ex-Frau. Marco Massafra überzeugt als selbstverliebter „Ich sehe fantastisch aus“-Freund Andy des jungen Steven, den Jannik Mühlenweg mit beeindruckendem Selbsthass ausstattet.
Die Momentaufnahmen im Leben dieser Familie sind voller wütender, trauriger, immer aber voller zärtlicher Stimmung. Womöglich werden sie nicht gut enden, diese Beziehungen, aber die Leute strengen sich an, versuchen, nett zueinander zu sein. Die Hoffnung stirbt hier nicht nur zuletzt, sondern gar nicht.
Das Theater wird zum moralisch aufmunternden „Vielleicht wird alles gut oder besser“-Trostort. „Am Ende Licht“ wäre als märchenhaft anmutende Inszenierung nachvollziehbar, im eher realistischen Setting wirkt die Produktion wie ein merkwürdig aus der Welt gefallenes, dabei großartiges Schauspielertheater.
Info
Die nächsten Vorstellungen
6., 13., 17. Dezember. www.schauspiel-stuttgart.de