Muss man Hermann Hesses Roman „Der Steppenwolf“ auf die Bühne bringen? Nein, nicht nötig. Aber Wolfgang Michalek als „Steppenwolf“ auf der Stuttgarter Staatstheater-Bühne zu sehen, das kann Freude bereiten.

Kultur: Tim Schleider (schl)

Stuttgart - Ob es nötig ist, Hermann Hesses Midlife-Crisis-Doku „Der Steppenwolf“ auf die Theaterbühne zu bringen, darüber lässt sich streiten. Immerhin bietet das Stuttgarter Staatstheater mit seiner jüngsten Produktion im Schauspielhaus einen weiteren Roman der Weltliteratur, und alle Freunde und Kenner des Buches können sich nach dem Besuch nun darüber austauschen, ob auch wirklich alle wichtigen Aspekte, Motive und Reflexionen der Vorlage angemessen auf der Bühne zu erleben sind. Offen gestanden, der Autor dieser Zeilen kennt nur im Groben die Geschichte des Kulturbürgers Harry Haller, der kurz vor seinem fünfzigsten Geburtstag darüber sinniert, ob er angesichts des drohenden Alters nun den Strick nehmen soll oder sich doch eher neuen Erfahrungen existenzieller Ekstase öffnen mag. Aber der Regisseur Philipp Becker scheint für die hundertminütige Stuttgarter Fassung die wesentlichen Elemente der, na ja, „Handlung“ gut verstrickt zu haben, und er schafft mit Hilfe einer originellen Theater-im-Theater-im-Theater-Bühne (Bettina Pommer) einen abwechslungsreichen Verlauf. Und wer will, mag in den Tiraden des besagten Harry Haller auf Kunst- und Kulturverfall, wachsende Verdummung der Gesellschaft, zügellose Politiker, seelenlose Wirtschaft und eine in den Abgrund taumelnde Menschheit Anklänge an die Shit-Storm-Ergüsse heutiger links- oder rechtsgestrickter Wutbürger finden. So viel zum Thema Aktualität des Abends.

 

Hier kocht der Chef persönlich

Warum hier aber der Besuch des Stückes trotzdem unbedingt empfohlen werden soll, liegt an seinem Hauptdarsteller Wolfgang Michalek. Wie es unser Lieblings-Brocken-von-einem-Mann aus dem Stuttgarter Ensemble schafft, dieser im Grunde entsetzlich auf die Nerven gehenden Hesse-Figur Saft, Statur, Psyche und Leben zu verleihen, ist einfach wunderbar. Michaleks Harry Haller ist witzig, schelmisch, kokett, charmant, bedrohlich, verletzt, selbstgefällig, arrogant, verträumt, verletzt, mit sich ringend, tanzend, brüllend, grölend, dann wieder frisch und fein, tirilierend, tremolierend, trötend – ein Ereignis. Von diesem Energie-Zentrum her bekommen auch die Mitspieler Viktoria Miknevich (als Objekt der Begierde Hermine) und Felix Mühlen (als Goethe und Mozart) ihren Rang und ihre Strahlkraft am Abend. Und auch der frappierend gut geführte Statistenchor macht beim Zusehen Freude.

So sagt uns dieser Stuttgarter „Steppenwolf“ wohl nur wenig über Hesse oder über unsere Zeit. Aber doch viel über die Macht des Theaters, selbst aus den vergessenen Resten im Kühlschrank noch ein überaus schmackhaftes Bühnenmenü zaubern zu können – zumindest dann, wenn ein Drei-Sterne-Darsteller wie Wolfgang Michalek die Haube trägt. We will miss him.