Das Theater Lindenhof inszeniert in der Fellbacher Alten Kelter den „Armen Konrad“, die einzige dramatische Bearbeitung der Bauernrevolte vor fünfhundert Jahren von Friedrich Wolf – und überzeugt mit einem großen Wurf.

Klima/Nachhaltigkeit : Thomas Faltin (fal)

Stuttgart - Am Ende wartet auf sie alle nur der Tod. Die vermummten Schergen des Herzogs haben die Anführer der Bauern mit schweren Ketten an die Säulen der Alten Kelter gebunden. Die Männer hängen dort in grotesker Stellung, kopfüber, in schmerzhafter Verrenkung, wie Verdammte, entsprungen dem Gemälde des Jüngsten Gerichtes von Hans Memling, der beinahe ein Zeitgenosse der armen Bauern von 1514 war. Der Bastel schreit so verzweifelt nach Wasser, dass es den Zuschauern durch Mark und Bein geht. Dann setzt Herzog Ulrich eigenhändig das Messer an die Kehle des Bauernführers Konz und zieht durch. „Einmal wird sie wiederkommen“, die große Sach’, das sind Konz’ letzte Worte.

 

In der Inszenierung des „Armen Konrad“ von Friedrich Wolf durch das Theater Lindenhof ist es soweit – die große Sach’ ist wieder lebendig. In einem frei erfundenen Vorspiel draußen vor der Kelter (gespielt vom Theater im Polygon) geraten ein paar Jugendliche, die dort wilde Parkours-Sprünge üben, mit einem schicken Pärchen aneinander, das seinen fetten Mercedes einfach am Trainingsplatz parkt und mit der spitzen Bemerkung „Wir sind eben privilegiert“ zur Premiere des „Armen Konrad“ schreitet. Da schon beginnt die Inszenierung zu schillern, weil das Stück stante pede in der Gegenwart angelangt ist und sich das Pärchen trotzig auf die Seite der Zuschauer stellt. Jeder fragt sich da unwillkürlich: Hoppla, wo stehe ich jetzt eigentlich?

Dem Theater Lindenhof ist so wieder einmal ein zwar nicht ganz astreiner, aber doch großer Wurf gelungen. Es ist eine monumentale Inszenierung: Rund vierzig Darsteller sind auf der Bühne, darunter Mitglieder des Singchors Fellbach, Bläser der Stadtkapelle sowie die Sänger der „Fellbacher Trollinger“, die wie ein antiker Chor den Aufstand von der Empore herab musikalisch begleiten und der volkstümlichen Inszenierung manchmal die religiöse Tiefe eines Oratoriums verleihen.

Die Alte Kelter in Fellbach: als Schauplatz grandios!

Auch der Schauplatz ist umwerfend. Die Alte Kelter, ein 3000 Quadratmeter großer Tempel aus Fachwerk, wird mehrmals durchschritten – es gibt viele Schauplätze darin, und die Zuschauer gehen von Szene zu Szene hinter den Schauspielern her, werden manchmal sogar von diesen angerempelt. Nebenbei zeigt sich, wie schnell verführt das Volk ist, weil es eben doch meist seiner Schwarmdummheit folgt: Brav trotten die hinteren Zuschauer immer den vorderen nach – keiner fragt, ob man in die richtige Richtung geht.

Und der Regisseur Klaus Hemmerle hält das Drama des Arztes, Dichters und Kommunisten Friedrich Wolf in einer schönen Balance. Einerseits greift er behutsam ein, um immer wieder, vor allem durch die Reden des blinden Andres (Bernhard Hurm), den Bogen in die Gegenwart zu schlagen. Auch ein Geländewagen saust durch die Kelter, und der Anführer Konz (Berthold Biesinger) wird am Ende nicht aufs Rad gespannt, wie im Original, sondern trägt als kleine Reminiszenz an diese mittelalterliche Foltermethode nur einen Autoreifen um den Hals. Andererseits respektiert Hemmerle den Text und den Geist des Dramas, das 1923 in Hechingen entstanden ist, wo der gebürtige Rheinländer Friedrich Wolf einige Jahre als Landarzt tätig war. Man kann deshalb von einer eigenständigen und doch authentischen Aufführung sprechen. Der Regisseur belässt es sogar bei der etwas künstlichen Sprache, die das Schwäbische und das Mittelalterliche anklingen lassen will, aber weder das eine noch das andere ist.

Die Schwächen sind eher im Drama und weniger in der Inszenierung zu suchen. Wolfs Stück besitzt zweifellos große Qualitäten, weil der Autor zum Beispiel das noch immer bestehende „Ehrsame Narrengericht“ in Grosselfingen einbaut und zum Symbol macht für das Weltgericht, das die Bauern in Gottes Namen halten wollen; dabei merken diese gar nicht, wie närrisch sie vorgehen und wie sehr sie die Brutalität und den Machtwillen des Herzogs unterschätzen. Vor allem ist Wolf bis heute der einzige Dramatiker, der diesen für Württemberg so wichtigen Bauernaufstand von 1514 auf die Bühne gebracht hat.

Der Zuschauer sollte nicht alles für bare Münze nehmen

Doch das Spiel wirkt manchmal etwas verzwungen, weil sich Wolfs politische Botschaft („Völker, hört die Signale“), die historische Wirklichkeit des Armen Konrad und die dramatische Handlung nicht immer reibungslos ineinander fügen. So sind die Charaktere teils sehr holzschnittartig. Herzog Ulrich ist im Spiel ein böser Tyrann, gefährlich, zynisch und machtgeil. Die Bauern sind für ihn nichts als „Rossmucken“, lästige Schmeißfliegen. Oliver Moumouris spielt ihn mit einer solchen Intensität, dass es einen schaudert. In Wirklichkeit war der württembergische Herzog zwar in der Tat ein cholerischer Mensch, aber er war nicht dumm. Er hat im Mai 1514 schnell die Tragweite des Aufstandes erkannt und deshalb die neue Steuer auf Lebensmittel zurückgenommen und sogar immer wieder das persönliche Gespräch mit den Bauern gesucht.

Überhaupt: die historische Wirklichkeit. Es ist das gute Recht jeden Autors, diese zu seinen Zwecken zu verändern, aber man sollte als Zuschauer zumindest wissen, dass man hier nicht alles für bare Münze nehmen darf. Die Bauern haben während des Armen Konrads nie das Stuttgarter Schloss erobert, die zwölf Artikel als Grundlage ihrer Forderungen wurden erst später im Bauernkrieg 1525 geschrieben, und eine Schlacht am Kappelberg hat es, wie im Drama suggeriert, auch nicht gegeben. Als das herzogliche Heer im Juli 1514 anrückte, flüchteten die Bauern Hals über Kopf. Sie wussten, dass sie keine Chance hatten.

In der Inszenierung überlebt Konz, aufwühlend und vielschichtig gespielt vom Lindenhof-Star Berthold Biesinger, die Schlacht, und er könnte sich mit der attraktiven Res (Stefanie Schuster) auf die Schwäbische Alb zurückziehen und ein neues Leben beginnen. Doch er geht zurück nach Schorndorf, zum Richtplatz auf dem Wasen, er geht freiwillig in den Tod, weil die Sach’ größer ist als er selbst. Die Freiheit, und sei es nur als Idee und Utopie, ist wichtiger als das eigene Leben. Tatsächlich? Darüber sollte sich jeder durch den Besuch dieser außergewöhnlichen Inszenierung selbst eine Meinung bilden.