Das Theater Lindenhof feiert sein 30-jähriges Bestehen. In drei Jahrzenten hat sich bei dem Regionaltheater so einiges getan.

Melchingen - In steilen Serpentinen und durch dichten Wald schrauben sich die Besucher hinauf auf die Hochebene der Schwäbischen Alb. Irgendwo hinter dem Ortsschild von Melchingen verlieren die Mobiltelefone ihren Empfang. Dort, im schwäbisch-dörflichen Idyll, liegt etwas, das der Leiter des ZDF-Theaterkanals Wolfgang Bergmann als ein "kleines Wunder" bezeichnet: das Theater Lindenhof. Es ist das einzige Regionaltheater Deutschlands und inzwischen weit über die Landesgrenzen hinaus bekannt. Am 16. Mai 1981 hob sich mit dem Stück "Semmer Kerle oder koine" zum ersten Mal der Vorhang der Melchinger Bühne. Nun, auf den Tag genau drei Jahrzehnte später, haben die Gründer, Weggefährten, Mitarbeiter und Freunde des Hauses sein 30-jähriges Bestehen gefeiert. Neben Bergmann sprachen Kunststaatssekretär Jürgen Walter (Grüne), die stellvertretende Bürgermeisterin von Burladingen, Dagmar Kuster, Landrat Guido Wolf (CDU) und der Berliner Autor Detlef Brentzen.

 

Die Metaphern, mit denen die Festredner die schiere Unmöglichkeit beschrieben, in dem beschaulichen 1000-Seelen-Ort Melchingen ein blühendes Theater zu betreiben, waren vielfältig. Vom Ort hinter den sieben Bergen war die Rede. Vom Kaff, das sonst nie betreten worden wäre. Von Fuchs und Has, die sich hier Gute Nacht sagen. Umso überschwänglicher waren die Lobeshymnen für das, was im Laufe der Jahre hier geschaffen wurde: ein bekanntes Kleinod, ein Zentrum für Kultur, ein Theaterwunder - einzigartig.

Vor 30 Jahren hätten wohl selbst die Theatergründer dies nicht für möglich gehalten. Rund um die Schultheatergruppe des Lehrers Uwe Zellmer formiert sich 1981 eine Schauspieltruppe. Zu den Gründern gehören Bernhard Hurm - bis heute der Intendant -, die Kabarettistin Dietlinde Ellsässer und der Karikaturist Jürgen Buchegger. Getrieben von ungeheurer Spiellust und den Idealen der freien Szene, erwirbt das Quartett im Ortskern von Melchingen die Dorfwirtschaft Linde. Die ehemalige Scheune bauen sie zum Theatersaal um. Kritisches Volkstheater wollen sie machen, die schwäbische Sprache ins Zentrum rücken. Fast ausschließlich Laienschauspieler stehen auf der Bühne. Freiluftproduktionen wie die "Melchinger Winterreise" mit der verschneiten Alb als Kulisse oder das Experiment einer Theaterexkursion im Zug sind vielen Zuschauern bis heute eindrücklich in Erinnerung geblieben.

Ein Kleinod, ein Zentrum für Kultur, ein Theaterwunder

"Die Geschichte des Lindenhofs spiegelt das Leben wider, mit all seinen Brüchen und Aufbrüchen", sagte der grüne Kunststaatssekretär Jürgen Walter, dessen erste Dienstreise im neuen Amt nach Melchingen führte. Er vertrat Ministerpräsident Winfried Kretschmann, der zwar nicht persönlich anwesend sein konnte, von Walter jedoch ausrichten ließ, dass er sich im Lindenhof sehr wohlfühle. "Das hat hier etwas Bodenständiges, Heimatverbundenes und trotzdem Weltoffenes. Das passt zu ihm."

Aus der jungen, aufbegehrenden Theatergruppe der achtziger Jahre sei inzwischen ein aufstrebendes Theater geworden, das den Begriff des "Volkstheaters" völlig neu geprägt habe. "Wir haben mehr über die Schwaben gelacht als je zuvor", erinnerte sich der Staatssekretär an den Dauerbrenner "Kenner trinken Württemberger". Er vergaß dabei auch nicht, seinen Vorgänger Dietrich Birk (CDU) lobend zu erwähnen, der sich mit großem Engagement für die Bühne eingesetzt habe. Um diese Förderung ungebrochen fortzusetzen, hatte Walter selbst einen Scheck der neuen Regierung über 30.000 Euro mitgebracht - ein Geburtstagsgeschenk zum Dreißigsten.

CDU-Landrat Guido Wolf zeigte sich mit einer guten Portion Selbstironie amüsiert über die erfrischende "Farbenblindheit", die die Lindenhöfler bei ihrer Beziehungspflege mit sämtlichen Parteien an den Tag legten. "Eben weil ihr über kleinkarierte, parteipolitische Grenzen hinaus agiert habt, habt ihr es geschafft, eurem Theater ein unverwechselbares Profil zu geben", sagte er. Die Liebe zur Heimat habe stets im Vordergrund der Produktionen gestanden, jedoch nie mit verklärtem Blick. Vielmehr sei es den Theatermachern gelungen, den Begriff in die Moderne zu überführen. Sein Credo: "Egal, wer regiert: euch muss es gut ganga!"

Eine Erfolgsgeschichte: 100 Produktionen in 30 Jahren

Lindenhof: Mehr als 100 Produktionen haben die Theatermacher von der Alb in den vergangenen 30 Jahren auf die Beine gestellt. Inzwischen bietet das Regionaltheater jedes Jahr 350 Veranstaltungen an, 120 davon an Gastspielorten in ganz Baden-Württemberg, aber auch in München, Hamburg und Berlin. Mit seinen Aufführungen erreicht der Lindenhof jährlich 45.000 Zuschauer, davon 20.000 allein in Melchingen.

Finanzierung: Das Regionaltheater wird vom Land Baden-Württemberg, den Landkreisen Zollernalb, Reutlingen, Tübingen, von der Gemeinde Burladingen sowie 17 Partnerstädten unterstützt. Damit steht dem Theater ein Jahresetat von circa 1,3 Millionen Euro zur Verfügung. Seit Januar wird das Theater in der Rechtsform einer gemeinnützigen Stiftung geführt. Im Stiftungszweck ist das Selbstverständnis als poetisch-kritisches Volkstheater festgeschrieben, das den schwäbischen Dialekt pflegt.

Preise: An Auszeichnungen erhielt das Lindenhoftheater unter anderem den Volkstheaterpreis des Landes Baden-Württemberg, den Theaterpreis der Stuttgarter Zeitung, den Friedrich-Hölderlin-Preis Tübingen sowie den Kleinkunstpreis des Landes. Im April wurden Bernhard Hurm und Uwe Zellmer mit dem Ludwig-Uhland-Preis geehrt.