Eva Hosemann geht in die letzte Saison als Chefin der kleinen aber feinen Stuttgarter Bühne. Sie hat nie auf Routine gesetzt – und bleibt sich treu.

Kultur: Adrienne Braun (adr)

Stuttgart - Wenn sie Widerworte gegeben hat oder nicht parierte, dann setzte es etwas. Dann nahm der Vater den Kochlöffel und schlug. „Ich hatte eine für die fünfziger und auch die sechziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts ganz normale Kindheit“, schreibt Ingrid Müller-Münch in „Die geprügelte Generation“. Im vergangenen Jahr ist das Buch herausgekommen, es war für viele wie eine Befreiung. Denn allzu lange wurde verschwiegen, dass im Nachkriegsdeutschland Prügel in fast allen Familien selbstverständlich waren. „Das Thema ist bis heute virulent und ein Tabu“, sagt Eva Hosemann – und eben deshalb wird sie das Buch von Ingrid Müller-Münch auf die Bühne bringen. Die erste Premiere in der kommenden Spielzeit der Rampe wird am 12. Oktober „Schlag auf Schlag“ sein, „Dokutheater mit spielerischen Szenen“, sagt Hosemann.

 

Die nächste Saison wird für sie die letzte sein. Nach 15 Jahren verlässt Eva Hosemann die Rampe – und sagt offensiv Adieu: „Hosemanns Letzte“ heißt das Motto, bevor die Chefin das Ruder abgibt an Marie Bues und Martina Grohmann (die StZ berichtete). „Sie waren meine geheimen Favoriten“, sagt Hosemann, „die Rampe geht gut weiter.“ Davor aber will sie noch einmal durchstarten und verspricht eine „experimentierreiche, aber auch zurückschauende Spielzeit“. Das heißt: es gibt einige neue Produktionen, aber es werden auch frühere Erfolgsstücke noch einmal ausgegraben.

Lust auf Experimente

Mit „Aus der Fremde“ von Ernst Jandl haben Hosemann und der damalige Co-Intendant Stephan Bruckmeier ihre Zeit an der Rampe begonnen, nun kommt das Stück über den Vorgang des Schreibens noch einmal auf den Spielplan. Auch „Die Räuber stark gekürzt“ sind wieder zu sehen, diese Kurzfassung des Klassikers von Schiller, der mit Playmobil-Figuren gespielt wird. „Über den Dingen“ von Martin Suter wird ebenso wiederaufgenommen wie der Abend mit Helen Schneider, die sich mit der Dichterin Anne Sexton beschäftigt hat.

Neu produziert wird dagegen „Nur fliegend“, ein Stück von Maga Das Gupta über die ersten Pilotinnen Melli Beese und Marga von Etzdorf. Nach einer Bruchlandung wussten beide Frauen, dass ihnen nie mehr eine Maschine anvertraut würde – weshalb sich beide umbrachten. Auch „Happy“ wird neu inszeniert, ein Bühnenstück von Doris Dörrie, das unter dem Titel „Nackt“ 2002 in die Kinos kam. In der Rampe soll es allerdings ein besonderes Experiment werden. Denn es geht um drei Paare, die sich treffen und ein ungewöhnliches Spiel machen: Die Partner sollen sich mit verbundenen Augen durch Tasten erkennen. Die Regie übernehmen gleich drei Regisseure – die jeweils eine Szene inszenieren werden.

Theater im Wohnzimmer

„Man muss aufhören, wenn es am schönsten ist“, sagt Eva Hosemann – und meint damit nicht nur ihre Zeit als Rampe-Intendantin, sondern auch die Wiener Woche. Sie wird zum zehnten – und letzten Mal – stattfinden. Auch Petra Weimer ist noch einmal mit „Welche Droge passt zu mir“ von Kai Hensel unterwegs. Sie spielt in privaten Wohnzimmern. „Es gibt viele Menschen, die große Wohnungen haben“, sagt Eva Hosemann, „mittlerweile kommen die Leute auf uns zu.“ Die Besucher erfahren erst auf ihrer Eintrittskarte, wo sich das Wohnzimmer befindet – und wo also gespielt wird.

In die Wohnzimmer passen nur um die 25 Zuschauer. Die Rampe selbst hatte in der aktuellen Spielzeit jedoch fast 16 000 Besucher und hat mehr als 150 000 Euro eingenommen. Am besten war „The Dream of getting a Job“ besucht, weshalb auch in der nächsten Saison wieder ein Stück mit dem Hope Theatre aus Nairobi geplant ist, diesmal zum Thema fairer Handel.

Insgesamt lag die Auslastung der Vorstellungen bei 73 Prozent. Trotzdem sagt Eva Hosemann, sie habe bei sich „Routineerscheinungen festgestellt. Es gibt hier schon zu viele abgefackelte Stellen“, sagt sie, deshalb müsse sie „das Feuer woanders hintragen“. Ein neues Engagement hat sie noch nicht, sie will erst einmal ein Jahr freiberuflich arbeiten. „Ich weiß, dass ich nicht untergehen werde“, sagt sie optimistisch, „Ich habe verschiedene Süppchen auf verschiedenen Flämmchen.“