Das Theater Rampe macht während des Umbaus die Not zur Tugend und hält das Alte Schloss mit Performances zur Landesgeschichte am Leben.

Digital Desk: Jan Georg Plavec (jgp)

Stuttgart - "Achtung! Es lebt!" Daran erinnern omnipräsente schwarz-gelbe Klebebänder, wie man sie sonst nur vom Bau kennt. Sie signalisieren denjenigen, die es noch nicht bemerkt haben: Nein, Sie sind nicht im Theater! Wir spielen hier in einem Museum, das noch bis 2012 eine Großbaustelle ist. Brachen und Bauruinen haben bisweilen ihren eigenen Charme. Die Stuttgarter fahren derzeit voll auf die kulturelle Zwischennutzung ab. Von den Waggons am Nordbahnhof über das am Wochenende zu Ende gegangene Projekt "Utopia Parkway" in der Marienpassage bis hin zu dem jetzt vom Theater Rampe veranstalteten Abend im Landesmuseum: die Besucher rennen den Kulturschaffenden regelrecht die Baustelle ein.

 

Die Rampe-Leute führen an diesem Abend rund 500 Besucher auf verschiedenen Wegen durch das Alte Schloss zu den Vorführungen zwischen Tanz, Theater, Lesung und Musik. Zur Aufführung kommen Szenen zur württembergischen Landesgeschichte. Es ist ein nicht ganz gewöhnliches Projekt für ein nicht ganz gewöhnliches Theater. Der Rampe-Intendantin Eva Hosemann gefällt am Alten Schloss nicht nur dessen "unglaublich pragmatische Baugeschichte", sondern ihr gefallen auch die vielen Geschichten, die sich seit dem Bau der Wasserburg im 10. Jahrhundert hier ereignet haben. "Geschichte ist aufeinandergeschichtete Zeit", sagt Hosemann. Es fasziniere sie, mit ihrem Abend "diese Schichten freizulegen in einem Gebäude, das ununterbrochen umgebaut wurde".

Welche Geschichten aber sind das? Zum Beispiel die des herzöglichen Geldbeschaffers Joseph Süß Oppenheimer. In den feuchten, tropfenden, kalten Katakomben wartet er auf seine Hinrichtung. Robert Atzlinger lässt, den Kerzenleuchter in der Hand, ein wenig vom schneidigen Charme des wegen seines jüdischen Glaubens gehassten Finanziers durchscheinen. Eines Mannes, der gehängt wurde und den man über Jahre öffentlich verwesen ließ. "Das ist auch eine Variante des Reichsverwesers", lässt Atzlinger den später als Hauptfigur "Jud Süß" im Nazipropagandafilm erneut geschmähten Oppenheimer mit bitterstem Sarkasmus sagen.

Ein nicht ganz gewöhnliches Theater

Es sind die großen Konflikte, die Reizfiguren, die Helden, die an diesem landesgeschichtlichen Abend im Licht der provisorisch aufgebauten Spotleuchten auftauchen. Was jedoch das Publikum neben den Geschichten und der mit viel Liebe zum Detail gestalteten Darstellung eigentlich reizt, sind die Spielorte.

Über den Ausgrabungen alter Gemäuer spürt man ein wenig von der Verpflichtung vor der Geschichte, die Stauffenberg zum Hitlerattentat trieb. Doch der Graf - verkörpert von Mini Schulz - übt nur Kontrabass, Johannes Wördemann trägt dazu die Geschichte des Widerstandskämpfers vor.

Wechsel in die Dauerausstellung: Uwe-Peter Spinner gibt zu Tisch den Schiller. In den Vitrinen ist das Regimentssilber ausgestellt, von der Wand grüßt König Wilhelm I. Geschichtlich ist das nicht ganz akkurat, erzeugt aber einen stimmigeren Kontext als jede moderne Bühne. Lior Levs Choreografie zur ständigen Remodellierung des Menschen kommt gar zwischen Sperrholzplatten und frei liegenden Luftabzugsschächten erst richtig zur Geltung.

Der Umbau verändert die Räumlichkeiten

Der Abend ist eine einzige Collage

An diesem Abend gibt es keine Genregrenzen. Ganz zum Schluss treffen sich die einzelnen Gruppen, die anderthalb Stunden von Szene zu Szene geführt wurden, im Kassenraum zur Abschlussperformance. Inszeniert wird ein weniger bekannter Moment aus der Stuttgarter Stadtgeschichte: Die "Schlacht von Heslach" erinnert an den Marsch den SA-Mobs durch den Arbeiterbezirk im Mai 1931, der in wüsten Schlägereien endete. Zum Schluss fallen den Sängern des Arbeiterchors die Blumentöpfe einfach aus der Hand. Die Geschichte als Scherbenhaufen, den es immer wieder neu zusammenzusetzen gilt: In diesem Geiste ist der Abend eine einzige Collage.

Der Umbau des Landesmuseums ermögliche erst solche besonderen Veranstaltungen, sagt die Direktorin Cornelia Ewigleben. Die Baumaßnahmen werden auch die bereits angesetzte zweite Auflage von "Achtung! Es lebt!" verändern: Die kreativen Köpfe vom Theater Rampe und die engagierten Künstler werden bis zum 25. Juni manches anpassen müssen, weil der Umbau bis dahin auch die Räumlichkeiten verändert. Aber das steigert offenbar nur den Reiz: Die Ersten haben ihre Karten noch am Freitagabend gekauft.

Wiederholung: Am 25. Juni gibt es eine zweite Auflage der Veranstaltung.

Infos und Tickets gibt es unter www.achtung-es-lebt.de