Christine Brückner gibt in „Ungehaltene Reden ungehaltener Frauen“ verkannten Heldinnen eine Stimme. Sie klingen in Irfan Kars’ Inszenierung am Theater Tri-Bühne jedoch fremd.

Was verbindet eine Kurtisane aus der Mitte des 19. Jahrhunderts mit einer jungen Baronin gut fünfzig Jahre später und einer Terroristin des 20. Jahrhunderts? Die Fremdbestimmung durch Männer und Konventionen, die Verzweiflung, nicht Herrin des eigenen Schicksals gewesen zu sein. Auf diesen gemeinsamen Nenner lassen sich die Monologe der Romanheldinnen Marguerite Gautier, Effi Briest und der historischen Person Gudrun Ensslin bringen, die der Regisseur Irfan Kars am Theater Tri-Bühne am vergangenen Freitag unterm Titel „Ungehaltene Reden ungehaltener Frauen“ zur Premiere gebracht hat.

 

Weibliche Schicksale aus nicht männlicher Sicht geschildert

Die Texte sind alles andere als unbekannt, geschrieben wurden sie vor vierzig Jahren von der Schriftstellerin Christine Brückner, die elf historischen wie fiktiven Frauengestalten eine Stimme gab, um weibliche Schicksale aus eben nicht männlich geprägter Sicht zu schildern.

Irfan Kars führt die aus Brückners Textzyklus ausgewählten Reden zwischen leeren Goldrahmen und beobachtet von einer Kamera aus, die von den Schauspielerinnen, Anuschka Herbst als Kameliendame Marguerite Gautier und Stefani Matkovic als Effi Briest, mobil im Raum bewegt wird. Was die Kamera filmt, wird auf eine Leinwand projiziert. Am Bühnenrand steht der Schauspieler Aki Tougiannidis stellvertretend für all jene Männer- und Machtfiguren, die sonst das Zentrum jeder Erzählung bilden, und steuert Zeilen, Geräusche, auch mal erotisches Stöhnen zum Geschehen bei. Vorm letzten großen Monolog der Terroristin Gudrun Ensslin stemmt er allein den Umbau, während die Kameliendame und die Baronin die Kleider des 19. Jahrhunderts gegen die revolutionäre Einheitskluft des zwanzigsten Jahrhunderts tauschen.

Auswahl der Persönlichkeiten wirkt beliebig

Brückners Idee, berühmte Frauen in fiktiven, freien Reden aus den ihnen zugedachten Rollen zu befreien, funktioniert zwar bis heute. Die Auswahl der Persönlichkeiten wirkt jedoch beliebig. Zwar reflektieren alle drei das Verhältnis zu Partnerschaft und Ehe, zu den Eltern und zu den eigenen Bedürfnissen. Im Kontext moderner Emanzipationsbewegungen und aktueller Debatten um Geschlechterrollen wirken ihre Schilderungen aber fremd und gestrig.

Irfan Kars versucht durch Requisiten und verschiedene Kameraperspektiven eine moderne Sicht auf die bekannten Charaktere zu ermöglichen; positioniert etwa Barbies männliches Pendant Ken als entfernten Beobachter am Ende einer Leiter, die vielleicht als für Frauen des 19. Jahrhunderts unerklimmbare Karriere- und Gesellschaftsstaffel zu lesen ist. Die Goldrahmen auf der Bühne bilden Begrenzungen, in die sich die Frauen gemäß weiblicher Ideale ihrer Zeit fügen sollen. Diese Zeichen und Bezüge stoßen aber nur lose Assoziationen an.

Ensslins Wutausbruch in der Gefängniszelle bleibt rätselhaft

Besonders Gudrun Ensslins Wutausbruch in der Stammheimer Zelle bleibt in seiner Stoßrichtung rätselhaft, das Getobe gegen die religiösen Eltern, den talentierten wie psychisch gebrochenen Ehemann, das eigene Kind, gegen die RAF. Anders als Marguerite und Effi ist Ensslin kein Opfer herrschender Verhältnisse, sondern eine Frau, die selbstbewusst Entscheidungen getroffen hat – allerdings die falschen.

Termine: 29. März, 13. und 15. April