Christine Bossert zeigt im Ost das Stück „Talk Talk-Reise ohne Flucht“. Es geht um das Thema Identitätsklau – gespielt von hörenden und gehörlosen Schauspielern.

S-Ost - Das ist blöd, ich mach es nochmal!“, sagt eine der Schauspielerinnen selbstkritisch. Also alles auf Anfang. Christine Bossert nimmt wieder ihren Platz in der dritten Reihe der Zuschauerränge ein, im Hintergrund kümmern sich derweil zwei Männer um den Aufbau der Technik. Auf der Bühne geht die Szene von vorne los. Es werden Kisten aufeinander gestapelt, ein junges Paar sitzt auf Stühlen, Tüten und Becher von McDonald’s in den Händen. Sie unterhalten sich, während im Vordergrund eine Übersetzerin das Gesagte in Gebärdensprache überträgt.

 

Ihr Ziel: Theater mit Kunst, Musik und Tanz zu verbinden

Christine Bossert und ihr Team ist in den letzten Zügen des Stücks „Talk Talk – Reise ohne Flucht“. Nur noch wenige Proben bis zur Premiere am Donnerstag. Ende 2013 hat die Regisseurin ihr Theaterlabel Wir.jetzt gegründet. Das erste Stück feierte im vergangenen Jahr im Club Zollamt in Bad Cannstatt Premiere. „Die Resonanz war toll“, erinnert sich Christine Bossert, jede Vorstellung war gut besucht. Viele Jahre war Christine Bossert an Theatern in der ganzen Republik angestellt, hat Opern inszeniert und Regie geführt – bis sie den Entschluss gefasst hat, zurück nach Stuttgart zu kommen, den Schritt in die Selbstständigkeit zu wagen und ein eigenes Theaterlabel zu gründen. Ihr Ziel: Theater mit verschiedenen Disziplinen wie Kunst, Musik und Tanz zu verbinden. Und das an wechselnden und im besten Fall fürs Theater ungewöhnlichen Orten zur Aufführung zu bringen. Ihr Label ist seit 2014 als freies Theater anerkannt.

Der geglückte Start im vergangenen Jahr hat ihr einige Türen geöffnet. Mit der Referenz ist es etwa einfacher, Förderung zu bekommen, die diesmal von der Stadt Stuttgart und von der LBBW Stiftung kommt. Das zweite Stück wird im Ost an der Landhausstraße 188 aufgeführt. Das ist zwar kein ungewöhnlicher Ort, dafür gibt es eine andere Besonderheit: „Talk Talk – Reise ohne Flucht“ ist Christine Bosserts erstes eigenes Theaterstück. Als Vorlage diente T.C. Boyles gleichnamiger Roman. „Als ich das Buch gelesen habe, war ich überzeugt, dass es davon schon eine Bühnenfassung oder einen Film gibt“, sagt Christine Bossert. Doch weit gefehlt. Inzwischen hat sie für ihre Adaption des Romans sogar einen Verlag gefunden. Die Geschichte handelt vom Identitätsdiebstahl an einer jungen Gehörlosen, der in einem Roadtrip quer durch die USA resultiert.

Das Gesamtbild entsteht aus vielen Schichten und Facetten

Was nach aufwendigem Bühnenbild klingt, wird reduziert auf das kleine Parkett im Ost gebracht. Die Szenerie entsteht durch Schauspieler und Projektionen, um letztere kümmern sich die beiden Stuttgarter Lichtkünstler Max Pfisterer und Willy Löbl, die sich gemeinsam Frischvergiftung nennen. Die beiden projizieren zahlreiche Autofahrten auf die Bühne, visualisieren Stimmungen. Hinzu kommt darauf abgestimmte Musik. „Das Stück funktioniert wie eine Opernproduktion“, sagt Christine Bossert, „wie Tortenschichten wird alles – Schauspiel, Musik, Lichteffekte – aufeinander gestapelt und am Ende gibt alles zusammen ein Gesamtbild.“ Das restliche Bühnenbild besteht aus Umzugskartons, die je nach Szenerie anders aufeinander und nebeneinander gestapelt werden.

Und noch eine Besonderheit gibt es: Die Hauptrollen werden von hörenden und gehörlosen Schauspielern gespielt – drei Vorstellungen komplett in Gebärdensprache übersetzt. Auch bei den Proben ist stets eine Dolmetscherin anwesend. Für Christine Bossert hat sich so eine ganz neue Welt eröffnet, auch Probleme, über die man nie nachdenkt. „Man hört immer von Barrierefreiheit, die beschränkt sich häufig jedoch auf Rollstuhlfahrer, die Gehörlosen werden oft außen vor gelassen“, sagt sie. Auch sie selbst habe einiges dazugelernt und etwa das Gebärdenalphabet gelernt. „Je besser man sich kennt, desto besser versteht man sich auch“, sagt sie. Nach den Aufführungen soll noch lange nicht Schluss sein. Die Theatermacherin plant Reisen mit ihren Ensembles, mit „Talk Talk“ und ihrem Erstling „Radio Noir“. Und danach bestimmt ein drittes Stück.

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