Das Seniorentheater „Die 5te Jahreszeit“ spielt die letzte Staffel des Erfolgsstückes „Löcher im Kopf“. Die Gruppe besteht aktuell aus 20 Seniorinnen und Senioren, die bis zu fast 80 Jahre alt sind.

S-Mitte - Jetzt also spielen sie wieder. Nach einer längeren Pause: „Löcher im Kopf“. Ein Spiel über die ganz normale Vergesslichkeit im Alter – und darüber, was passiert, wenn die Vergesslichkeit krankhaft wird. An diesem Morgen aber, wenn es an die Proben für die Wiederaufnahme der Inszenierung vom Jahresbeginn geht, nicht die Spur von Vergesslichkeit. Nicht beim Text, nicht bei den Abläufen, die schnurren wie am Schnürchen. Superpünktlich sind sie sowieso.

 

Gründung vor 15 Jahren

Schon bei der Begrüßung ist zu spüren, dass es sich hier um eine ganz besondere Gruppe handelt. Frisch und warmherzig das Wiedersehen, wie unter alten Freunden. Umarmungen, leuchtende Augen, ein Späßchen, ein Plausch. Wenn Spielleiterin Uschi Famers zum Aufwärmen ruft, ist im Nu der große Kreis gebildet. Lockern und dehnen in alle Richtungen. „Jetzt kommt die Energie!“ ruft Famers, und schon sind sie drin im Spiel und führen den Körper auf scheinbar absurde Weise durch den Raum. Dem Ellenbogen folgend, Nase, Bauchnabel, Rücken, Po. Kontakt aufnehmen, expressive Laute dazu, links, rechts, links. Tempo, Tempo! Ein flottes Pingpong von 16 Akteuren, fast wie bei den Profis.

„Stimmt“, sagt Uschi Famers, „die Gruppe kennt sich gut. Manche sind von Beginn an dabei.“ Seit 15 Jahren also, seit der Gründung im Theater im Zentrum. Vor zehn Jahren ist die „5te Jahreszeit“ dann mit hinübergezogen an den Tagblattturm, ins JES, zum Jungen Ensemble Stuttgart: „Die Gruppe gehört fix zum JES. Hier haben sie ihre Heimat gefunden“, betont Iris Geigle vom künstlerischen Betriebsbüro.

Der Name lässt an Doppeltes denken

Ein Urgestein der ersten Stunde ist Irmgard Widenhorn-Döttling. Weshalb sie immer noch dabei ist? „Weil es mich frisch hält im Kopf, und weil das gemeinsame Spiel so vielfältig bereichert.“ Als Fossil bezeichnet sich auch die Theaterpädagogin Uschi Famers, ebenfalls von Beginn an dabei. Sehr glücklich findet sie den Namen der Gruppe, wobei die fünfte Jahreszeit ja an Doppeltes denken lässt. Daran, dass im Alter längst nicht „alles vorbei ist“, aber auch daran, dass die Extra-Jahreszeit gemeinhin den Narren vorbehalten ist: „Man muss ein bisschen verrückt sein, um das zu machen. Und wir sind alle ein bisschen verrückt“, bekennt sie lachend. Die Verrückten: Das sind derzeit 20 Seniorinnen und Senioren, die bis zu fast 80 Jahre alt sind. Im sogenannten „aktiven Leben“ waren sie Hausfrau und Schriftsteller, Psychologe, Handwerker und Personalchefin, auch Kulturredakteur beim SWR. „Dieser Schatz an Erfahrungen, diese bunte Mischung ganz verschiedener Lebensgeschichten, das macht den Reichtum dieser Gruppe aus. Und das ist eine Quelle der Inspiration in der Theater-Arbeit“, erklärt Uschi Famers.

Ein Schatz also, aus dem sich schöpfen lässt. Denn die „5te Jahreszeit“ setzt nicht vorhandene Stücke in Szene, sondern entwickelt diese selbst. Themen, die die Mitglieder bewegen, auch angelehnt ans Spielzeitthema des JES. „So lassen sich die Rollen auf die Akteure schneidern, wobei wir am Anfang nie genau wissen, wohin das führt“, sagt Famers und ergänzt: „Das geht dann Schritt für Schritt, bis zu einem stimmigen Ergebnis. Die Rollen werden von innen heraus entwickelt, der Text ist nur das Sahnehäubchen oben drauf.“

„Es geht ums Annehmen der Situation“

Für „Löcher im Kopf“ mussten Uschi Famers und Dramaturg Peter Galka aber Überzeugungsarbeit leisten. Die Befürchtung, dass das Thema zu schwer wird, konnte aber ausgeräumt werden: „Wir spielen das wie ein Stück über die Liebe“, hatte die Spielleiterin gelockt, „und mit viel Komik.“ Darin sieht auch Galka das Geheimnis der eminenten Wirkung der Inszenierung beim Publikum: „Wir spielen nicht das Elend. Daraus kann man nichts lernen. Es geht ums Annehmen der Situation. Und um das Glück, das darin wohnt.“

Das Tragische, Hilflosigkeit, Scham und Schmerz werden aber nicht überspielt: „Bei Alzheimer oder aufkommender Demenz zerbricht ein Ganzes und die Person schwimmt wie auf treibenden Eisschollen“, sagt Galka , worauf Uschi Famers den Kern von „Löcher im Kopf auf den Punkt bringt: „Wir suchen mit den Figuren die Inseln, auf denen es den Betroffenen trotzdem gut geht.“