Selten wagt die E-Gitarre einen Schritt in diesen Kosmos: Das Musikprojekt Schiller hat im Theaterhaus in Stuttgart in abgefahrene Klangwelten entführt.

Stuttgart - Es ist ein fernes Klingeln in allen Ohren, es sind ätherisch zarte Partikel, aus denen ein filigraner Teppich wird, Flächen, die wie elektronisch funkelnde Kontinente aus dem Nichts auftauchen und das Publikum, gebannt auf seinen Sitzen, mit interstellarer Sinnlichkeit überschütten. Selten wagt die E-Gitarre einen Schritt in diesen Kosmos; fein sprudelt im Hintergrund das Schlagzeug. Und über Bildwände geistern Träume von bestechender Klarheit: Schiller, das Musikprojekt, das auf große Technik und sanfteste Überwältigung setzt, gastiert am Montagabend im Theaterhaus, der Saal T1 ist nahezu ausverkauft.

 

In einem anderen Saal des Theaterhauses erinnerte man sich eben noch an die deutsche Rockmusik der 1970er Jahre – und seltsam genug: Schiller wirken heute wie ein Update der damals sehr präsenten Tangerine Dream, nur ohne langes Haar, ohne spiegelnde Sonnenbrille, ohne Hippieattitüde, Räucherstäbchen, Mystik und, sehr wahrscheinlich, auch ohne die „lustigen Zigaretten“, die man bei Konzerten der Elektronik-Pioniere gerne rauchte. Christopher von Deylen, der hinter dem sehr erfolgreichen Musikprojekt steht, wirkt wie einer, dem man nicht nur eine Schallplatte, sondern auch eine High-End-Anlage abkaufen würde: Ein höflich fachkundiger Spezialist für musikalische Höhenflüge in ausgewogener Stimmungslage, einer, der einlädt zur eskaptischen Luxusvariante, einer, dem man gerne für mehr als zwei Stunden seine Tagträume anvertraut.

Richtung „Sehnsucht“

Und einer, der hält, was er verspricht. Von Deylen wuchs auf, in den Klangnebeln von Tangerine Dream und Jean Michel Jarre, begann schon früh eigene Musik zu produzieren. Schiller, benannt nach dem Dichter, oft begleitet von namhaften Rezitatoren, besteht seit fast 20 Jahren. Unzählige Musiker der Rock- und Elektroszene arbeiteten mit dem Projekt zusammen, auch Mike Oldfield, selbst bekannt fürs episch Instrumentale, war unter ihnen. Nun hat Christopher von Deylen zwei Partner auf der Bühne: Cliff Hewitt bedient das elektronische Schlagzeug, spielt Percussion, Martin Roberts steht an den Synthesizern und greift zu Gitarre: Schemenhafte Musiker, die weiche Schlagzeugstöcke wirbeln, konzentriert an Knöpfen, Schaltern hantieren. Keine Revoluzzer, gediegene Experten. Die musikalischen Panoramen, die sie so langsam konstruieren, werden begleitet von visuellen Phantasieflügen: Wüste, Meer, Sternenhimmel, die Lichter der modernen Großstadt in der Nacht. Die Reise geht hinauf auf die Berge, hinein in polare Regionen, in die Schwerelosigkeit, die Neonschrift „Sehnsucht“ leuchtet über der Bühne und das Publikum applaudiert mit Ausdauer, heimgekehrt von einer Reise ohne jedes Risiko.