Vom Parkhaus bis zum Alten Friedhof: Zum 200-Jahr-Jubiläum des Stadtteils Korntal findet an ungewöhnlichen Orten ein außergewöhnliches Theaterprojekt statt. Aber nur, wenn die Menschen mitmachen.
Korntal-Münchingen - Mit Korntal-Münchingen hat sich Bernd Schlegel bislang wenig beschäftigt. Doch seitdem der Mitgründer und Chef des Oberriexinger Theaters unter der Dauseck vor Monaten den Stadtteil Korntal besuchte, kommt er richtig ins Schwärmen. „Von dem wunderschönen aufsteigenden Friedhof bin ich sehr beeindruckt“, sagt der 63-Jährige. Auf dem denkmalgeschützten „Begräbnisgarten“, wie der Alte Friedhof früher hieß, sind die, so schreibt die Stadt, „besonders gekennzeichneten Gräber des Gemeindegründers Gottlieb Wilhelm Hoffmann und anderer bekannter Korntaler Persönlichkeiten“. Mit dem Begräbnisgarten haben Theater, Stadt und Brüdergemeinde nächstes Jahr etwas Besonderes vor. Mit den Bürgern auch: Sie sollen schauspielern.
2019 wird Korntal 200 Jahre alt. Das Jubiläum feiert die Stadt auch mit einem Theaterstück. Aber nicht irgendeinem: Das Stück zur Entstehung des Ortes 1819 durch die Brüdergemeinde mit dem Titel „Heimfinden“ schrieb Schlegels Frau Barbara Schüßler eigens für das Jubiläum. Es ist ein Theaterspaziergang zu acht Schauplätzen rund um Landschloss, Betsaal und Rathaus. Zudem sollen sich die Bürger und Freunde Korntal-Münchingens daran beteiligen. „Wir suchen etwa 20 Frauen, Männer und Kinder, die mitspielen“, sagt Schlegel, der bis Mitte 2016 der Rektor der Marbacher Uhlandschule war.
Es gab verheerende Missernten
Gespielt werde eine „Zeit bitterer Armut“. Im April 1815 brach im heutigen Indonesien der Vulkan Tambora aus – die Hauptursache für eine der schlimmsten Hungersnöte in Europa. Weil der Vulkan Schwefelgase, Staub und Asche in die Atmosphäre geschossen hatte, drang kaum mehr Sonne auf die Erde durch, das Klima veränderte sich. 1816 ging als das „Jahr ohne Sommer“ in die Geschichte ein. Kälte, Dauerregen und schwere Gewitter führten zu verheerenden Missernten. „Viele Menschen flohen nach Russland und Amerika“, sagt Schlegel. Dafür habe es Anwerber gegeben, von denen zwei im Theaterstück vorkommen: Sibilla und Ulrich überlegen, ob sie mit ihren acht Kindern nach Russland gehen sollen. Sie bleiben – und gründen den „Rettungsort Korntal“.
Das Stück, sagt Schlegel, drehe sich um die kleinen Leute, die etwas aufgebaut haben. „Es geht weder um die Geschichte der Brüdergemeinde noch um Missbrauch“, betont der Produktionsleiter. Die Szenen seien nahe an der Historie, jedoch sei das Stück kein Historienstück. Schlegel nennt es ein „witziges Schauspiel mit historischem Hintergrund“. Eine Handvoll „Moderationsfiguren“ nehmen die maximal 130 Zuschauer mit, begleiten und kommentieren das Geschehen – und greifen damit auch ein. „Wir besetzen größere und kleinere Rollen, aber keine Hauptrolle“, sagt Schlegel. Statisten gebe es auch keine. „Jeder, der mitspielt, sagt etwas.“
Viele Voraussetzungen sind nicht erforderlich
Was man mitbringen sollte als Bewerber für eine Rolle? „Lust, Spaß – und viel Zeit“, sagt Bernd Schlegel. Im Februar beginnen die Proben in der Stadthalle, sie sind jedes zweite Wochenende. Premiere hat „Heimfinden“ am 21. Juni. Die Laien stehen an 17 Terminen mit rund zehn Stammspielern des Theaters auf den Bühnen. Wer das Rampenlicht scheut, sich aber trotzdem engagieren will, kann das im Hintergrund tun: Kulissen bauen, Kostüme nähen, die Techniker unterstützen.
Mit „Heimfinden“ organisiert das Theater zum zwölften Mal einen Theaterspaziergang mit der Beteiligung von Bürgern. Jedes Jahr im Sommer gibt es einen. Als sich die Korntal-Münchinger Kulturreferentin 2016 am Marbacher Kraftwerk „Tell“ anschaute, war sie begeistert. So sehr, dass sie das mehrfach prämierte Dauseck-Theater ins Strohgäu holte. „So schaffen wir einen anderen Zugang zum Thema 200 Jahre Korntal“, findet Melanie Thamm-Beck. 7000 bis 10.000 Euro lässt sich die Stadt das kosten.
Das Stück beginnt aus einem guten Grund im Parkhaus
Schlegel sagt, dass Theaterspaziergänge sehr beliebt seien. Jede Szene an einem anderen Ort, das gefalle dem Publikum. „Dabei entdeckt es den Ort und immer etwas Neues. Selbst Einheimischen geht es so.“ Ein Besuch sei immer auch „ein Stück weit Heimatkunde“. In Korntal lägen die Schauplätze dicht beieinander, die Umgebung sei angenehm ruhig. Das Stück soll im Parkhaus unter dem Rathaus beginnen. Dort ist es düster, wie vor 200 Jahren, als sich der Himmel verdunkelte. Und der Begräbnisgarten? Nur so viel sei verraten: Dort spielt die Schlussszene.
Termin Das Theater unter der Dauseck stellt am Dienstag, 20. November, das Projekt „Heimfinden“ im Weinkeller des Landschlosses in Korntal vor. Los geht es am Saalplatz 5 um 19 Uhr. Mehr Infos unter www.theater-dauseck.de.