Aber irgendwas müssen Sie bei Ihren Recherchen doch gelernt haben!
Ich habe mich in einige Deals reingekniet und verstanden, wer sie mit welchen Interessen abgeschlossen hat. Deshalb verfüge ich jetzt vielleicht über das Werkzeug, um die in der Branche wichtigste Frage zu stellen: Cui bono? Wem nützt es? Wenn man diese Frage verfolgt und mit Fachwissen anreichert, werden Finanzmärkte auch für Laien lesbar: Herr X. macht in einer Talkshow eine Bemerkung über Griechenland. Mein Radar nimmt das wahr und ahnt, dass er mit dieser scheinbar nebensächlichen und harmlosen Äußerung gerade einen Millionengewinn konstruiert. So viel glaube ich mittlerweile zu verstehen. Zum Minister reicht das aber noch nicht.

Aber es reicht, um die Finanzmarktpolitik von Angela Merkel einzuschätzen?
Ihre Politik ist eine Politik des unbedingten Zeitgewinnens. Dabei merkt man, dass die Kanzlerin von Hause aus Physikerin ist: Sie macht Versuche und operiert mit Variablen, sie wägt ab und überlegt, was sie zu einem bestimmten Zeitpunkt sagen kann und was sie noch verschweigen muss.

Zum Beispiel?
Den Schuldenschnitt. Davon, dass wir Ländern wie Griechenland die Schulden erlassen müssen, dass das Geld, das die Bundesrepublik Deutschland dorthin verliehen hat, also nicht mehr zurückkommt – davon kann sie derzeit nicht reden. Täte sie es, hätte sie ein Problem. Denn die Leute würden zu Recht fragen: Wie wollen wir je unser Haushaltsdefizit bekämpfen? Indem wir mehr Geld drucken und eine Inflation riskieren? Oder indem wir Ausgaben kürzen, Investitionen in die Infrastruktur stoppen, im Sozial- und Bildungsbereich sparen und mithin eine Rezession riskieren? Diese Fragen kommen zwar mit Sicherheit auf uns zu, aber Merkel verfügt über ein fein austariertes Instrumentarium, das es ihr erlaubt, Probleme nach hinten zu schieben, die Menschen zu beruhigen und – Zeit zu gewinnen.

Eine Lösung hat sie nicht?
Nein. Auch wenn ich kein Apokalyptiker bin: sie macht nicht mehr, als die Titanic durch die Eisberge zu lotsen.