Der Dokumentarfilmer Andres Veiel macht wieder Theater: Im Stuttgarter Schauspiel bringt er das „Himbeerreich“ auf die Bühne, ein Stück zur Finanzkrise.

Stuttgart – Wenn er sich mit etwas beschäftigt, dann richtig: Andres Veiel, 1959 in Stuttgart geboren, zählt zu den wichtigsten, mit Preisen überhäuften Dokumentarfilmern der Republik. Als er für „Black Box BRD“ (2001) die Hintergründe des Attentats auf den Deutsche-Bank-Chef Alfred Herrhausen untersuchte, kam er zum ersten Mal enger mit der Finanzwelt in Verbindung. Ein Kontakt, der ihn elektrisierte und mehr als zehn Jahre später nun zu seinem neuen Theaterstück geführt hat: „Himbeerreich“ wird am Freitag, dem 11. Januar, im Stuttgarter Nord uraufgeführt.
Herr Veiel, als Dokumentarfilmer haben Sie sich mit gründlichen Recherchen einen Namen gemacht. Wie haben Sie jetzt als Theatermacher gearbeitet?
Ganz ähnlich. Ich habe im vergangenen Jahr 25 mehrstündige Interviews geführt: in Frankfurt, London, Zürich, Luxemburg. Unter meinen Gesprächspartnern waren sowohl aktive Investmentbanker als auch ehemalige Bankenvorstände jenseits der Pensionsgrenze, die aber noch täglich in die Bank gehen und am „Himbeerreich“ teilhaben – mit Anrecht auf Chauffeur, Etagendiener, Sekretärin und Büro.

Das also besagt der Titel Ihres Stücks? Ein Leben mit allen Annehmlichkeiten?
Mit einem gewissen Luxus, ja. Dafür aber müssen die Banker einen Preis zahlen: Sie müssen schweigen. Deshalb hätte ich sie auch nie vor die Kamera gekriegt. Das Theater ist für diesen Stoff der richtige Ort, weil ich dort meinen Gesprächspartnern Anonymität zusichern kann.

In Ihrem Stück ist nichts fiktiv?
Nichts. Alles, was drin vorkommt, ist dokumentarisch. Ich musste die Gespräche, insgesamt 1400 Seiten, zwar auf 40 Seiten verdichten, habe aber nichts dazuerfunden.

Und was haben Sie an Vertraulichkeiten zu hören bekommen?
Ich habe mich vor allem mit Ex-Vorständen getroffen, die bei Entscheidungen heute nicht mehr gefragt werden. Sie beobachten das Geschehen von der Seitenlinie aus. Ihre Kritik am Investmentbanking geht in vielem weiter als das, was in Frankfurt aus den Occupy-Zelten unterhalb der Bankentürme zu hören war: Bislang ist von den Deals und dem damit angerichteten Schaden nur die Spitze des Eisbergs sichtbar – das hat mich fassungslos gemacht! Bei den Gesprächen ging es aber auch darum, wie die Banker – als Banker – zu dem wurden, was sie sind. Ohne dass ich danach gefragt hätte, breiteten sie ihre Kindheit vor mir aus, offensichtlich selbst auf der Suche nach dem Motor, der sie antreibt. Aber psychologische Erklärungen für ihr Tun würden zu kurz greifen, weshalb Psychologie im „Himbeerreich“ nur eine Hintergrundrolle spielt.

Was steht im Vordergrund?
Nach einem Besuch in Frankfurt bin ich durchs Occupy-Camp gegangen, im vergangenen März, vor der zentralen Demo der Finanzmarktkritiker. Dort bin ich zufällig auf einen Manager aus den umliegenden Banken gestoßen. Er hat mir die Pläne der Banken zugespielt für den Fall, dass die Gebäude gestürmt werden. Notfallpläne mit Arbeitsplätzen in einem Bunker außerhalb der Stadt, die während der mehrtägigen Protestaktionen im Frühjahr aktiviert wurden, denn das Handelsgeschäft darf ja niemals ruhen. Diese Papiere aber haben mir schlagartig deutlich gemacht: das System ist – erstens – extrem störanfällig. Zweitens: die Banker haben enorme Angst vor einer Protestbewegung, die objektiv betrachtet vollkommen harmlos ist. Drittens: ihre Angst ist ein Ausdruck dafür, dass der Zorn von Occupy berechtigt ist.