Katrin Röhlig gehört zu den ersten Absolventen des Studiengangs Theatertherapie an der Nürtinger Hochschule. Jetzt arbeitet sie in Kliniken und hinter Gefängnismauern. Im Scheinwerferlicht stehen Gefühle und ihre Aufarbeitung.

Rems-Murr: Sascha Sauer (sas)

Nürtingen - Wenn Katrin Röhlig mit ihrem rollenden Handwerkerkoffer kommt, verwandelt sich das Krankenhauszimmer in eine Märchenwelt. Dann schlüpfen Patienten in Kostüme, werden zu Schneewittchen oder Rumpelstilzchen. Und sie lassen ihren Gefühlen freien Lauf. Wut, Ärger, Angst, Hass, Trauer bekommen eine Bühne.

 

Katrin Röhlig ist Theatertherapeutin. Erst vor wenigen Wochen hat sie ihr Bachelor-Studium an der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt (HfWU) in Nürtingen (Kreis Esslingen) abgeschlossen. Damit gehört sie zu den ersten Absolventen des vor vier Jahren gegründeten Studiengangs. Und der ist in Deutschland das einzige Angebot einer akademischen Ausbildung für Theatertherapeuten.

Die Theatertherapie fristet in Deutschland ein Schattendasein

Die Theatertherapie friste im Land bisher ein Schattendasein, sagt Katrin Röhlig. „Die wenigsten Kliniken kennen das Berufsbild.“ Und es gebe Vorurteile, etwa dass es etwas unglaublich Chaotisches sei. Die 41-Jährige sieht das komplett anders: „Es ist eine neue Therapieform, die klug ist“, sagt sie. „Denn Dinge ins Spiel zu bringen ist urmenschlich und heilsam.“

Auf die Heilfunktion des Theaters hoffen auch die Patienten der Eltern-Kind-Station des Klinikums Christophsbad Göppingen. Für das anstehende Theaterspiel machen sie sich Gedanken: Welche Rolle möchte ich spielen? Ist eine Szene besonders wichtig? „Wir gehen davon aus, dass jeder die Rolle wählt, die die Themen trägt, die für die Person aktuell wichtig ist“, erklärt Katrin Röhlig. Dabei gehe es nicht immer nur um etwas Biografisches. So will vielleicht jemand die böse Hexe spielen, um mal eine andere Seite seiner Persönlichkeit auszuleben.

Patienten haben anfangs oft Berührungsängste

Weil die Theatertherapie noch so unbekannt ist, haben die Patienten anfangs oft Berührungsängste, erzählt die 41-Jährige. Doch die nimmt sie ihnen schnell: „Es geht nicht darum, ein guter Schauspieler zu sein, sondern die Rolle eröffnet Blickwinkel und Gefühlswelten, die lange im Verborgenen geblieben sind.“ Im Klinikum Christophsbad will sie Menschen helfen, die an Depressionen, Ängsten und Persönlichkeitsstörungen erkrankt sind. „Sie sollen erfahren, dass es nicht nur Trauer und Leid gibt, sondern auch Räume, wo man ganz anders sein kann“, sagt Röhlig. Und wo alles erlaubt ist: lachen, weinen, streiten und wütend sein.

Ein bisschen wie das Mädchen im Märchen „Die Sterntaler“ hat sich Katrin Röhlig gefühlt, als sie erfuhr, dass nur wenige Kilometer von ihrem Wohnort entfernt der Studiengang Theatertherapie angeboten wird. Ein echter Glücksfall, war sie doch kurz zuvor in ihrem ursprünglichen Beruf an Grenzen gestoßen. Die 41-Jährige kommt aus dem Schauspiel und der Theaterpädagogik. An verschiedenen Stuttgarter Brennpunktschulen entwickelte sie mit Schülern Theaterstücke, die ihre Lebensthemen wie Mobbing und Freundschaft aufgreifen.

„Plötzlich merkte ich, dass ich nicht wusste, wie ich mit den aufbrechenden Gefühlen der Kinder und Jugendlichen umgehen soll“, erinnert sich Katrin Röhlig. An der Nürtinger Hochschule holte sie sich dann das nötige Rüstzeug, hat dort viel über Krankheitsbilder, Methodik und Theatergeschichte gelernt. Johannes Junker, der in Nürtingen deutschlandweit die einzige Professorenstelle für Theatertherapie innehat, sagt: „Unsere Absolventen können sich auf Angebote der Musik-, Kunst- und Tanztherapie bewerben oder aber im Bereich der Sozial-, Geflohenen- und Migrantenarbeit tätig werden.“

Katrin Röhlig hat es mit Gewalt- und Sexualstraftätern zu tun

Seit einigen Wochen arbeitet Katrin Röhlig auch hinter Gefängnismauern. In der Sozialtherapeutischen Anstalt Hohenasperg hat sie es mit Gewalt- und Sexualstraftätern zu tun. Das Therapieziel: Verurteilte Schläger, Mörder und Vergewaltiger sollen ihre Straftaten aufarbeiten. „Es geht immer um das Delikt, wir arbeiten sehr bewegungsorientiert und körperlich“, erklärt Röhlig. Mit Märchen und Geschichten aus der Mythologie werden die Taten nachgestellt. „Bei Ödipus und Orestes geht es auch um Familienbande und Blutrache“, so die Theatertherapeutin.

Ebenso steht Stockkampf auf dem Programm. Die Klienten sollen erfahren, dass man negative Gefühle wie Wut und Aggression auch lenken kann. In der Therapie sollen sie zudem lernen, ihre Taten zu verstehen. „Es steckt immer mehr dahinter, als nur jemandem in die Fresse zu hauen“, sagt Katrin Röhlig. Die zentralen Fragen lauteten: Was ist meine Biografie? Was war die Motivation? „Theater ist nicht nur eine Kunstform, sondern es kann auch als Projektionsfläche und Sprachrohr dienen“, sagt sie.