Ehemalige Heimkinder und Brüdergemeinde haben große Erwartungen an ihre Präsentationen beim Kirchentag. Die christlichen Vertreter blicken unterdessen selbstkritisch auf die vergangenen Monate.

Korntal-Münchingen - Der Kirchentag „eröffnet einen offenen und streitbaren Dialog“, heißt es vonseiten der Veranstalter – doch im Fall der Aufarbeitung der Missbrauchsfälle in Kinderheimen der Korntaler Brüdergemeinde scheinen einige Beteiligte nicht mehr zum Dialog bereit zu sein. Zu unterschiedlich sind die Auffassungen über den Erfolg des Prozesses. Deshalb hat sich der schon beim jüngsten Treffen der Interessengemeinschaft (IG) Heimopfer entbrannte Streit wegen der Präsentation beim Kirchentag weiter verschärft. Man habe sich von der Opferhilfe distanziert, sagt Detlev Zander, der Sprecher der IG Heimopfer, der die Missbrauchsfälle vergangenes Jahr öffentlich gemacht hatte. Die Opferhilfe, deren Korntaler Vertreter am Dienstag nicht erreichbar war, sieht das offenbar anders. Auf ihrer Internetseite verweist sie vielmehr auf den „schönen Erfolg“, dass die Brüdergemeinde gemeinsam mit der IG auf dem Kirchentag vertreten sei.

 

Die Opferhilfe war zur Unterstützung der Betroffenen gegründet worden. Doch sie arbeitet nun – so der Eindruck – gegen die Aufarbeitung, das zeigt auch die Diskussion um den Stand beim Kirchentag. Zudem hatte eine Frau ihre Spende über 900 Euro für den Stand zunächst zurückgezogen, weil sie nicht wollte, dass es dort eine gemeinsame Präsentation der Interessengemeinsaft und der Brüdergemeinde gibt. Doch trotz der beim Opfertreffen auch aufgetretenen Differenzen über die Frage der Entschädigung sehen viele Heimopfer die Aufarbeitung positiv.

Diese Einschätzung formuliert auch Klaus Andersen. „Schier unglaublich“ sei, dass man „heute schon so detailliert und vor allem mit Opfern der Heimerziehung zusammen“ über die Aufarbeitung spreche. „Wir haben bedeutende Fortschritte gemacht. Aber wir stehen erst am Anfang. Erst einmal müssen die Dinge auf den Tisch kommen, damit Klarheit und Wahrheit herrschen“, sagt der weltliche Vorsteher der Brüdergemeinde.

Vor diesem Hintergrund blickt auch Detlev Zander nicht nur auf den Streit mit der Opferhilfe, sondern vor allem auf den Kirchentag. Alle Wunschgäste hätten einen Besuch am Stand der Heimopfer zugesagt. Am Freitag um 14 Uhr wird zuerst die ehemalige Ministerin und ehemals Unabhängige Beauftragte zur Aufarbeitung des sexuellen Kindesmissbrauchs, Christine Bergmann, erwartet. Sie moderiert auch die Podiumsdiskussion „Aus der Missbrauchsdebatte klug geworden?“ am Samstag um 11 Uhr in der Fellbacher Schwabenlandhalle. Daran nimmt neben Zander auch der aktuelle Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung, Johannes-Wilhelm Rörig, teil. Rörig kommt am Freitag zum Heimopfer-Stand (19 Uhr). „Von ihm erwarte ich, dass er uns aufmerksam auf die Finger schaut und uns Hinweise gibt, welche Fragen im Aufarbeitungsprozess noch wichtig sind“, sagt Zander. Besonders freuen sich die Beteiligten des Aufarbeitungsprozesses über den Besuch des Landesbischofs Frank Otfried July am Freitag zwischen 16.30 Uhr und 18 Uhr. „Das ist eine kleine Geste zur Versöhnung“, sagt Zander. Er und andere Heimopfer hätten schon lange auf ein Gespräch mit ihm gewartet. „Das ist großartig, dass die Betroffenen diese Aufmerksamkeit bekommen. Sie werden Ihre Anliegen vorbringen können, und Ihnen wird die Hand gereicht“, würdigt auch die Wissenschaftlerin Mechthild Wolff Julys Zusage. Sie koordiniert die Aufarbeitung der Korntaler Missbrauchsfälle.

Für Zander ist die Präsentation aber auch eine Art Versicherung, dass die Brüdergemeinde, an deren Willen zur Aufarbeitung er lange zweifelte, nicht mehr hinter das bereits Erreichte zurückkönne. Andersen lässt keinen Zweifel daran, dass dies nicht geschehe. „Wir befinden uns in einem tiefen Lernprozess“, sagt der weltliche Vorsteher, der sich ebenso wie Zander auf dem Kirchentag durch andere einen Blick von außen auf den Aufarbeitungsprozess in Korntal wünscht.

Gleichwohl ist er sich auch der Fortschritte der Aufarbeitung bewusst. Zwar habe man die Vorwürfe von Beginn an ernst genommen, aber es sei offenbar nicht gelungen, diese Ernsthaftigkeit auch nach außen zu kommunizieren. Selbstkritisch blickt er auf die vergangenen anderthalb Jahre. „Vorwürfen sexuellen Missbrauchs muss immer nachgegangenen werden. Wir waren da anfangs nicht schnell genug und haben damit leider Misstrauen Vorschub geleistet.“ Man habe sich zunächst zu sehr auf juristische Fragen um den von Zander geforderten Schadensersatz konzentriert. „Das hat den Eindruck ausgelöst, dass wir die Sache an sich nicht wahrhaben wollten. Wir hätten uns viel schneller – und das heißt vor der juristischen Auseinandersetzung – an die inhaltliche Planung einer unabhängigen Aufarbeitung machen sollen. Auch hätten wir ehemalige Mitarbeiter früher einbeziehen sollen, nicht erst nach einem halben Jahr.“ Er erwartet sich vom Kirchentag zudem Hinweise zum Umgang verschiedener gesellschaftlicher Schichten und auch Einrichtungen mit dem Thema Schuld und Versöhnung. Das Motto des Kirchentags sei „extrem passend“. Es lautet: „Damit wir klug werden“.