Viele geben zu wenig auf ihr Herz acht: Sie essen falsch und bewegen sich kaum. Hinzu können Erkrankungen den Muskel schwächen. Die Medizin hat ihre Möglichkeiten, doch die Erfolge können auch ein Fluch sein können, sagt Thomas Meinertz, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Herzstiftung.

Stuttgart - Die meisten Menschen beachten ihr Herz erst, wenn es bereits Probleme bereitet. Das ging sogar dem Kardiologen Thomas Meinertz so. Auch Diabetes kann das Herz-Kreislauf-System schwer schädigen. Welche medizinischen Möglichkeiten es gibt, wenn das Herz nicht mehr richtig arbeitet, erklärt der Vorsitzende der Deutschen Herzstiftung.

 
Herr Meinertz, medizinisch gesehen ist das Herz nur einen schlichter Muskel: Etwa 300 Gramm schwer und mit einer Leistungsfähigkeit von 0,0015 PS ausgestattet. Welche Bedeutung hat es für Sie?
Das Herz hat schon immer eine unheimliche Faszination auf die Menschen ausgeübt. Zum einen, weil man anhand keines anderen Organs den Tod eines Menschen so einfach erkennen kann: Steht das Herz still, ist man tot. Hinzu kommt, dass sich Emotionen stark auf das Herz auswirken können. Empfinden wir Freude, wird der Herzschlag schneller. Trauer kann uns im Herzen wehtun. Diese Rückkopplung gibt es bei keinem anderen Organ.
Und trotzdem geben die Menschen zu wenig acht auf das Herz: Herz-Kreislauf-Erkrankungen sind in den Industrienationen die Todesursache Nummer eins. Warum?
Ich glaube, früher gab es nicht weniger, sondern eher mehr und auch schwerwiegendere Herzerkrankungen. Gleichzeitig werden die Menschen älter und dadurch auch kränker. Ab dem Alter von 50, 60 und 70 Jahren steigt das Risiko für Herzerkrankungen. Und es gibt mehr Risikofaktoren. Die Leute realisieren nicht, dass beispielsweise Diabetes das Herz-Kreislauf-System schwer schädigen kann.
Andererseits entwickelt sich die Herzmedizin so rasant, dass es vielleicht bald nicht mehr die Einsicht der Patienten braucht?
Es stimmt: Trotz Herz-Kreislauf-Erkrankungen können die Menschen auch im Alter eine hohe Lebensqualität haben. Das ist der modernen Medizin zu verdanken. Voraussetzung ist, dass die Patienten einigermaßen medizinisch betreut werden. Wichtig ist aber auch das menschliche Verhalten. Ich vertraue darauf, dass Menschen, die über ihre körperliche Verfassung Bescheid wissen, am Ende die richtigen Konsequenzen für ihre Gesundheit ziehen.
Eines Ihrer wichtigsten Anliegen ist, dass Kinder schon früh lernen, wie wichtig Gesundheit ist. Wie soll das gelingen?
Indem die Schulen von vorneherein das Fach Humanbiologie unterrichten. Statt dem Leben der Pantoffeltierchen einen allzu großen Unterrichtsrahmen zu bescheren, wäre es wichtiger zu erklären, wie der Körper des Menschen aufgebaut ist und was seine Gesundheit beeinflussen kann – im Guten wie im Schlechten. Es gibt viele Dinge, die schon Grundschüler als Grundlagenwissen bräuchten und die man auch kindgerecht aufbereiten könnte. Dann würden die Menschen auch das Prinzip der Prävention besser verstehen.
Sie sind selbst Herzpatient gewesen. Was war Ihr Lerneffekt?
Ich bin vom Saulus zum Paulus geworden. Früher habe ich immer behauptet, ich tue viel für meine Gesundheit – habe aber eigentlich wenig getan. Als ich das Vorhofflimmern hatte, habe ich sehr darunter gelitten. In Ruhephasen wurde es zur richtigen Qual. Und doch gab es auch bei mir eine Phase, in der ich meine Herzprobleme nicht wahrhaben wollte. Dann habe ich den zweiten Fehler begangen und mich selbst behandelt. Ich dachte, ich wüsste alles am besten. Erst als es schlimmer wurde, habe ich mich von einem befreundeten Arzt in Frankreich behandeln lassen.
Verhalten Sie sich seither vorbildlich?
Ich achte mehr auf meine Gesundheit, das schon. Aber von einigen Unarten kann ich immer noch nicht lassen: Ich trinke beispielsweise jeden Tag meinen Wein.
Wie stark haben Ihre Erfahrungen das Verhältnis zu Ihren Patienten beeinflusst?
Ich lasse meine Patienten beispielsweise ausreden. Sie brauchen das Gefühl: Mein Arzt hört mir zu, er zeigt Interesse an meiner Krankheit. Es gibt viele, die ihre Erkrankung zum Lebensinhalt gemacht haben. Sie versuchen, sich und ihren Körper zu analysieren. Diese Gedanken muss der Patient loswerden dürfen. Um Menschen zu heilen, muss man ihr körperliches Leid ernst nehmen – aber auch das damit einhergehende seelische Leid.
Wie stark kann sich die Seele auf Herz-Kreislauf-Erkrankungen auswirken?
Dass nicht nur akute Emotionen dem Herz zu schaffen machen, sondern auch chronische psychosoziale Probleme Herz-Kreislauf-Erkrankungen beeinflussen können – diese Einsicht ist noch nicht sehr alt. Allein das Wissen von Herzkranken, chronisch krank zu sein und vielleicht auch noch abhängig von einer Maschine zu sein, das verändert die Menschen auch seelisch. Bei Patienten mit Herzinsuffizienz ist dies besonders evident, noch mehr bei Patienten, die ein Kunstherz implantiert oder ein richtiges Herz transplantiert bekommen haben. Die Psychokardiologie ist daher unheimlich wichtig, wir müssen auf diese psychologische Betreuung Wert legen.
Braucht es eine neue Art Herzmediziner?
Es muss auf Dauer eine Art Gesamt-Kardiologen geben – einen Arzt, der den Überblick behält über all die Leiden und gesundheitlichen Probleme seines Patienten. Der typische Herzpatient hat ja oft nicht nur ein Vorhofflimmern, sondern auch andere Erkrankungen wie beispielsweise Diabetes. Es braucht also einen erfahrenen Kardiologen, der den Patienten zur Behandlung seiner unterschiedlichen Krankheiten zu unterschiedlichen Spezialisten schickt.
Könnte die Telemedizin dazu beitragen?
Ohne die Telemedizin wird eine sinnvolle medizinische Überwachung von Herzpatienten bald nicht mehr möglich sein. Vor allem in ländlichen Regionen. Viele Routinechecks lassen sich mit Hilfe der Telemedizin leisten. Ein regelmäßiges Gespräch mit dem Arzt – und sei es auch nur per Videotelefonie – schafft beim Patienten Beruhigung. Dennoch ist auch der persönliche Kontakt wichtig.
Was wird die Zukunft der Herzmedizin noch bringen? Vielleicht ein künstliches Herz?
Die Forschung wird darauf hinauslaufen. Das Kunstherz, das es schon gibt – also die kleine Pumpe, die auf das eigene Herz aufgesetzt wird – bietet schon jetzt eine hohe Lebensqualität für die Patienten. Doch nichts kann das menschliche Herz ersetzen. Es wird aber nicht gelingen, die Zahl der Organspenden hierzulande so zu steigern, dass ein Kunstherz nicht mehr notwendig sein wird. Leider – muss ich sagen. Ich persönlich habe kein Verständnis dafür, dass viele Bundesbürger sich nicht mit dem Gedanken anfreunden können, dass nach einer Organspende ein Teil ihres Körpers in einem anderen Menschen weiterlebt. Das gibt doch dem Leben einen Sinn.
Gleichzeitig wird die Herzmedizin immer teurer. Werden wir uns diese künftig noch leisten können?
Heutzutage ist es ja oft schon so, dass Privatversicherte durchaus mehr Möglichkeiten haben als gesetzlich Versicherte – auch wenn es meist nicht offengelegt wird. Es müssen daher klare Grenzen gesetzt werden – gerade im Bezug auf die Frage, ob unser Gesundheitssystem jede Therapie bezahlen muss, die medizinisch machbar wäre. Bei der Krebsmedizin gibt es Medikamente, die 100 000 Euro im Jahr kosten und eine Lebensverlängerung von fünf bis sechs Monaten verheißen. Da muss man die Frage stellen dürfen, ob diese Therapie ihr Geld wert ist. Ich denke, diese Fragen werden auch bald in der Herzmedizin häufiger gestellt werden.
Wie haben Sie für sich diesen medizinisch-ethischen Konflikt gelöst?
Der Konflikt ist im Prinzip unlösbar. Es kommt auf die Erwartungshaltung des Patienten an: Was wünschen sie sich noch vom Leben? Auch muss man wissen, dass nicht jede Operation, die lebensverlängernd wirkt, etwas an der Lebensqualität ändert. Klärt der Arzt darüber auf, sagen die meisten, dass sie zwar alt werden möchten – aber nicht um den Preis.