Friedrich Theodor Vischer beschrieb 1879 als erster die sprichwörtliche Tücke des Objekts im Roman „Auch Einer“. Sein Notizbuch im Deutschen Literaturarchiv Marbach spricht ebenfalls Bände.
Wer kennt sie nicht, die Tücke des Objekts? Der erste, der sie benannte, ist der Literaturwissenschaftler, Schriftsteller und Politiker Friedrich Theodor Vischer. Im Deutschen Literaturarchiv (DLA) in Marbach findet sich zu diesem Thema im Literaturleben veranschaulichenden Sammlungsbereich „Bilder und Objekte“ ein Notizbuch mit eingelegtem, viermal gefalteten Papierbriefchen, das von der „Schnauz-Nadel“ handelt. Hintersinnig, kryptische Verse, die viel erahnen lassen . . . War wohl darin mal das Corpus delicti eingewickelt, das Hund Schnauz plagte. „Samt dem Faden diese Nadel hatte jüngst der gute Schnauz ganz hinabgeschluckt – mir graut’s! Doch Verdauung ohne Tadel! Nach zwei Tagen Schmerzenlauts ohne Hülf’ etwelchen Krauts ist sie aus der unvernähten Hinterpforte ausgetreten.“
Die Tücke des Objekts verfolgt den Helden
Den Kleinkrieg mit den vielerlei Dingen des Alltags beschreibt Vischer zudem in „Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft“. In dem 1879 erschienenen, höchst erfolgreichen Roman lernt der Erzähler auf einer Tour durch die Schweiz A.E. alias Albert Einhart kennen – der volle Name fällt aber erst im zweiten Band. Er beschreibt sich selbst als tragischer Held, weil er von der Tücke des Objekts verfolgt wird. Das fängt mit dem ständigen Verlegen der Schlüssel an, geht über ungewollte Tintenkleckse und endet nicht beim Suchen der Brille, die „Canaille“, die sich immer mal verkriecht.
„Von Tagesanbruch bis in die späte Nacht, solang irgendein Mensch um den Weg ist, denkt das Objekt auf Unarten, auf Tücke“, warnt A.E. „So lauert alles Objekt, Bleistift, Feder, Tintenfass, Papier, Zigarre, Glas, Lampe – alles, alles auf den Augenblick, wo man nicht acht gibt.“ Und weil der Exzentriker nicht der Gemeinheit der Gegenstände ausgeliefert sein will, rächt er sich schließlich, indem er gelegentlich Dinge „exekutiert“, die es zu weit getrieben haben.
Als „dummen Anthropomorphismus“ sollte der Philosoph Ludwig Wittgenstein nach Ende des Zweiten Weltkriegs diese „Entdeckung“ des tückischen Objekts in seinen „Vermischten Bemerkungen“ kritisieren. Die Literaturwissenschaftlerin Charlotte Jaekel ordnete es im Gegenzug in ihrer Doktorarbeit über Vischer 2019 wiederum dem „Animismus“ zu: Im 19. Jahrhundert sei das Ding beseelt, das „Bagatell“ auf diese Weise zu einem neuen Akteur des Romans geworden.
Auf die Antrittsvorlesung folgt die Suspendierung
Vischer bekam davon freilich nichts mehr mit. Hatte er doch schon am 30. Juni 1807 das Licht der Welt erblickt und zwar als Sohn eines Ludwigsburger Seelsorgers. Später studierte er Theologie und Philosophie in Tübingen – und habilitierte sich dann für Ästhetik und Deutsche Literatur. Reisen nach Griechenland und Italien nutzte er hernach, um Kunst zu studieren. 1844 schon ordentlicher Professor wurde er Ordinarius, doch knapp ein Jahr danach wurde er wegen seiner Antrittsvorlesung, in der er sich klar zum Pantheismus bekannte, suspendiert – und handelte sich prompt ein zweijähriges Lehrverbot ein.
Auf den Index hatten es damals auch schon seine politischen Aufsätzen „Kritische Gänge“ geschafft. Selbstredend beteiligte er sich 1848 auch an der Märzrevolution und saß in der Frankfurter Nationalversammlung als Abgeordneter der Linksdemokraten. Das Mitglied der Königlich Bayerischen Akademie der Wissenschaften sollte später in Zürich lehren, dann eine Professur am Stuttgarter Polytechnikum bekleiden. 1887 starb Vischer in Gmunden am Traunsee – nach einer schweren Infektion auf einer Reise nach Venedig.