Wieder kein Weihnachtsmarkt in Stuttgart. Das weckt Zorn und Wut. Der Frust der verhinderten Besucher darf sein, meint die katholische Pastoralreferentin Angela Schmid. Es komme aber darauf an, was wir daraus machen, sagt sie im Interview.

Stuttgart - Die Absage des Weihnachtsmarkts, nicht nur in Stuttgart, musste sein. Das hält Angela Schmid angesichts der hohen Infektionsrate für konsequent. Die Seelsorgerin, die im Stadtdekanat der katholischen Kirche arbeitet, kann gut verstehen, dass viele Weihnachtsmarkt-Fans frustriert sind. Aber die gebürtige Ravensburgerin meint auch, dass man aus der Wut und der Enttäuschung etwas machen kann.

 

Frau Schmid, warum beschäftigt uns gerade die Nachricht, dass der Weihnachtsmarkt ausfällt, so nachhaltig? Andere Events sind ja auch gestrichen.

Der Weihnachtsmarkt duftet gut, und er sieht schön aus. Er ist heiß und kalt gleichzeitig. Er steht für Vorfreude aufs Fest, Geschenke kaufen, Freunde treffen. Der Weihnachtsmarkt hat etwas von Idylle, von heiler Welt.

Was macht die Absage mit den Menschen?

Dass der Weihnachtsmarkt nicht stattfindet, ist traurig, frustrierend und nervig. Und diese Gefühlslage betrifft irgendwie jeden, da es sich ja nicht um eine einmalige, sondern um eine flächendeckende Veranstaltung handelt. Alle haben das Gefühl: Wir sind wieder an dem Punkt, wo nichts mehr geht.

Im vorigen Jahr gab es auch keinen Budenzauber.

Ja, aber der Leidensdruck ist im zweiten Coronajahr höher als im ersten, in dem sich niemand vor dem Virus schützen konnte. Jetzt kann ich das, und trotzdem wollen sich immer noch etliche Menschen nicht impfen lassen. Kein Wunder, dass da ein Zorn auf unnötig Ungeimpfte entsteht.

Können Sie das als Theologin nachvollziehen?

Ich kann verstehen, dass viele Menschen stinkesauer sind. Es geht ja nicht nur darum, dass man furchtbar gern wieder einen Glühwein trinken möchte. Es geht um eine große Sehnsucht, die man mit ihm verbindet: die Sehnsucht nach Normalität.

Sehen Sie auch einen positiven Aspekt?

Der Advent ist eigentlich eine stille Zeit – was er in der Realität zumindest vor Corona nie war. Die Zeit vor Weihnachten war immer übersteuert, mit einer Fülle von Terminen zugepflastert. Jetzt wird sie zwangsweise auf ein Level heruntergefahren, was der Seele guttut. Wir wissen noch nicht, wie wir es feiern können, aber Weihnachten ist nicht weg. Und der Advent ist das Warten auf die Ankunft Jesu. Jetzt können wir dieses Warten in Ruhe durchbuchstabieren, auch das Warten auf das Abebben der vierten Welle und die Normalität, die hoffentlich einkehrt im nächsten Jahr.

Gibt es einen konkreten Rat, was wir im Moment außer Warten tun können?

Geht impfen. Es ist das Einzige, was wir als großes Steuerungselement haben. Es ist für uns als Christen die moralische Aufgabe, solidarisch zu sein, füreinander einzustehen, mitmenschlich zu denken und den anderen einen Schutz zu geben durch die Impfung.

Und wenn ich dreimal geimpft bin?

Als gläubiger Mensch: Bring den ganzen Frust, die Trauer, Wut, Sehnsucht Gott. Und dann kannst du was aus der aktuellen Situation machen. Was, das muss jede und jeder Einzelne für sich entscheiden. Die einen gehen mit Freunden im Wald spazieren, die anderen greifen lieber zum Telefon. Man kann digital und virtuell mit anderen in Kontakt treten, das hat uns Corona gelehrt, aber auch physisch. Ich denke da an das Singen von den Balkonen. Ich kann aber auch statt des Trubels auf dem Weihnachtsmarkt nur ein paar Schritte weiter die Ruhe in St. Eberhard genießen – wenn mir der Ort guttut.

Angela Schmid

Privat
Angela Schmid ist 1974 in Ravensburg geboren. Sie hat in Benediktbeuern und Tübingen Theologie und Sozialpädagogik studiert, sie ist verheiratet und hat drei Kinder.

Kirche
Als Dekanatsreferentin ist sie bei der katholischen Kirche in Stuttgart für pastorale Fragen zuständig. Sie begleitet Gremien, zum Beispiel Kirchengemeinderäte, kümmert sich um die Fortbildung und die Prävention. Zu ihren Aufgaben gehört auch die Vorbereitung des Katholikentags.