„Die Form finden, die es einem nicht leichter, sondern überhaupt möglich macht“: Auch Terézia Mora weiß, dass es die Form, der Stil ist, der die literarische Sprache von der Alltagssprache unterscheidet. Für ihre Büchner-Preis-Rede hatte sie die Form des Briefes gewählt, die Anrede an einen „lieben Freund“, der vielleicht auch Georg Büchner sein könnte. Mit Martin Pollack verbindet sie, dass sie aus jenem Ostmitteleuropa kommt, das Pollack auf seinen journalistischen Streifzügen durchwandert hat. „Wir waren Untertanen“, resümiert sie ihre Kindheit im poststalinistischen Ungarn. Dann, gerade volljährig geworden, als ungarische Studentin in Berlin, ist sie angekommen in einem Zwischenreich, „zwischen zwei Sprachen und zwei Lebensaltern stehend“. Während Abel Nema, der Held ihres ersten Romans „Alle Tage“, den es wie sie vom Balkan nach Berlin verschlagen hat, in diesem Niemandsland zwischen den Sprachen scheitert, begreift Terézia Mora dieses Dazwischen als Chance, als Möglichkeit, ihre ganz eigene Sprache zu finden.

 

Bücher, Büchner und Berlin

Büchners „Woyzeck“ war eines der ersten Bücher, das der ungarischen Migrantin in Berlin in die Hände fiel, später kam dessen Lustspiel „Leonce und Lena“ hinzu. Doch Woyzeck behielt die Oberhand: „Ich war und fühlte mich den brüchig sprechenden Plebejern näher“, bekannte Mora, „die schwere Sprache also, das beinahe-Stottern habe ich als die Materie erkannt, aus der ich meine eigene Sprache machen würde“. Damit kommt jene Melancholie ins Spiel, die Daniela Strigl in ihrer Laudatio als „österreichisch-ungarisches Erbteil“ in Moras Werk ausmachte, freilich eher als „wütende Melancholie, eine Melancholie am Kipppunkt zum Aufbegehren“. Auch Mora gab zu, dass sie aus Mitteleuropa „eher die Melancholie als den grotesken Witz mitgenommen“ habe. „Beide haben ihren Ursprung in dem Wissen, das wir alte Europäer miteinander teilen, wonach wir, ob wir nun etwas tun oder nicht tun, auf jeden Fall einen Preis zahlen müssen, den wir als zu hoch empfinden“.

Trotzdem kann auch jemand, der von Haus aus mit solcher Melancholie imprägniert ist und mit dem Schlimmsten rechnet, noch enttäuscht werden. An dieser Stelle ihrer Rede kam Moras Version von „Die Zeit ist aus den Fugen“ ins Spiel: „Früher konnte ich sagen: hetzerisches Reden findet in Deutschland wenigstens nicht auf Regierungsebene statt. Das kann ich so nicht mehr. Der Fisch stinkt vom Kopf her, aber, machen wir uns nichts vor, auch überall anderswo“. Womit man bei den Fischen angelangt war, genauer: bei den Barben, über die Georg Büchner seine Doktorarbeit geschrieben hat. Mora hat sich die Mühe gemacht, die verschiedenen ungarischen Bezeichnungen für diesen Fisch nachzuschlagen und ins Deutsche zurückzuübersetzen. Eine davon lautet: Slowakischer Judenstör. Die Sprache, so ihr Resümee, ist nicht unschuldig, in ihr ist die Geschichte Mitteleuropas enthalten. Sie ist zum Weinen und zum Lachen.