Kultur: Adrienne Braun (adr)
Nein, nicht unbedingt. Aber in der Kränkung reagieren wir immer nach dem typischen Dramadreieck. Ich fühle mich als Opfer wegen des Verhaltens eines anderen, den ich als Täter identifiziere. Deshalb glaube ich auch, mich an ihm rächen zu dürfen. Das kann enorm eskalieren, was wir bei vielen Kriegen sehen, wo es sehr häufig um Verletzungen geht, die mit Aggression beantwortet werden.

Warum haben wir kein Handwerkszeug, das Verhalten des anderen richtig einzuordnen?
Das ist ein Grund, weshalb ich mich mit dem Thema auseinandergesetzt habe. Gekränkt zu sein ist erst einmal nicht schlimm und eine menschliche Reaktion. Schlimm ist, wie wir damit umgehen, wenn wir sagen: „Das macht mir überhaupt nichts“ – oder aber den Kontakt mit dem anderen abbrechen und dadurch eine Kränkungsleiche im Keller liegen haben. Wir verteufeln den Menschen ein Leben lang, leben im Unfrieden mit uns und dem anderen – und das ist das eigentlich Schlimme.

Wäre es also besser, sich diese starke Empfindsamkeit abzutrainieren?
Wenn jemand bei allem und jedem beleidigt ist, hat er ein verletztes Selbstwertgefühl. Solche Leute sollten lernen, nicht immer allen Negatives unterstellen zu müssen und in einer Dauerkränkung zu verharren. Aber empfindlich zu sein ist völlig legitim.

Hat diese Empfindsamkeit denn einen evolutionären Sinn?
Ich weiß nicht, ob Kränkungen irgendwann mal einen Sinn hatten, vielleicht den, dass wir mal über uns nachdenken und fragen, ob an meinem Verhalten wirklich etwas nicht in Ordnung ist. Vielleicht dient die Kränkung dazu, dass wir nicht abheben, dass wir ein Regulativ haben, das uns dämpft und auf dem Boden sein lässt.

Sie haben mehrere Bücher über Kränkungen geschrieben. Ist das Thema so ergiebig?
Ja, es ist sehr ergiebig, weil Kränkungen das gesamte Leben durchziehen, egal, in welcher Form von Beziehung, sei es privat, beruflich, weltpolitisch. Eine Frau war furchtbar gekränkt, weil meine Katze nicht auf ihren Schoß sprang, auf alle anderen Schöße sprang sie. Sie glauben nicht, was für eine Kränkung das für sie war.

Was unterscheidet Kränkungen im Privaten von denen im Berufsleben?
Im Berufsleben müssen wir eher aufpassen, wem gegenüber wir unsere Kränkung offenbaren. Das zu tun kann sehr schädlich sein, weil der andere das ausnutzen kann. Wenn ich mich als Führungskraft mit Kränkungen auskenne, kann ich Kränkungskonflikte unter Mitarbeitern schneller erkennen und stoppen, damit es nicht in Mobbing endet. Viele unaufgelöste Kränkungen am Arbeitsplatz können ausarten, das kann ich verhindern. Im Privaten geht es dagegen eher darum, dass man offen darüber spricht.

Reagieren Menschen auf Kränkungen immer gleich?
Es gibt die aggressive und die depressive Variante. Bei der aggressiven Variante wird die Zerstörungswut nach außen gerichtet, bei der depressiven geht es eher gegen mich, dann bin ich beleidigt, lecke meine Wunden, zelebriere mein Opferdasein und hoffe, dass mich jemand errettet.

Lässt sich der Schmerz verhindern?
Verhindern können wir leider gar nichts, aber ich kann mich darauf einstellen. Ich kann mich wappnen und lernen, aufrecht meine Position zu behalten. Wichtig ist, Kritik konstruktiv zu sehen. Wertvoll ist auch zu wissen, wo meine wunden Punkte sind und wie ich mich selbst stärken kann.

Dann wäre es am besten, sich so stark zu machen, dass mich das Gerede der anderen überhaupt nicht tangiert?
Nein, das wäre schade, da würde ich denken, da stimmt etwas nicht. Man darf doch ruhig mal verletzt sein und sagen: Jetzt tut es verdammt weh. Das ist doch völlig legitim. Das sollten wir uns zugestehen dürfen.