In Mannheim bringt Burkhard Kosminski das neue Stück von Theresia Walser auf die Bühne: „Herrinnen“ ist eine wunderbar mit dem Boulevard flirtende Komödie über moderne Feministinnen – und über den modernen Theaterbetrieb obendrein.

Stuttgart - Malte ist mit seiner Arbeit unzufrieden. Er ist Schauspieler und hat schon bessere Tage gesehen – und bessere Rollen als jene, in die er jetzt schlüpfen muss, auch. „Hier oben in meinem Kopf, hier drinnen, sind 17 Hauptrollen gespeichert, 17 Hauptrollen, zuletzt Wilhelm Tell“, klagt der verkannte Bühnenkünstler, „davor habe ich mich 140-mal erschossen, da war eine Spannung in der Luft, jeden Abend, ob Lüdenscheid, Schwäbisch Gmünd oder Remscheid“ – und diese Spannung, die er als erotisch selbstmörderischer Werther aufbauen konnte, hat auch die Frauen im Parkett einst total erfasst, gerade beim Gastspiel in Remscheid, wo er bei den Remscheiderinnen eine „Besamungsbesessenheit“ auslöste, die ihm Angst und Bange machte. Mann, Mann, Mann, das waren Triumphe! Aber jetzt? Spielt er eine Transe, die bei keinem Publikum der Welt auch nur irgendwas zu erregen vermag. Nein, mit der Rolle einer „drittklassigen Boulevard-Thisbe“ wird der glühende Malte nicht glücklich werden. Wer hat ihm diesen Schlamassel nur eingebrockt?

 

Er weiß es: Maltes Zorn richtet sich gegen die Autorin Gloria Wolf, die das Stück „Die Tür“ geschrieben hat, das er gerade mit vier Kolleginnen mehr schlecht als recht probt. Und er hasst die wölfische Dramatikerin, weil sie ihre Figuren, also die Schauspieler, wie „blökendes Meinungsvieh, wie depperte Oberministranten und Zeitgeistvampire“ hinter den angesagten „Theaterlaufstegmoden“ hinterherhecheln lässt. Wow! Zeitgeistvampire! Das sitzt! Denn was der Transenspieler in seinem Frust formuliert, ist ja nicht nur eine harsche Abrechnung mit Gloria Wolf, sondern mit dem zeitgenössischen Theater überhaupt – ein Todesurteil gleichsam, von dem wir jetzt freilich nur erfahren, weil sich hinter „Der Tür“ noch eine weitere Tür und eine weitere Wirklichkeit auftun. Und da sehen wir – Tusch – die gute Theresia Walser, die anders als Frau Wolf nun tatsächlich existiert und als Autorin virtuos mit einem alten Trick spielt: mit dem Stück im Stück, einem bewährten Komödienverfahren, das seit jeher die Möglichkeit bietet, erheiternd über das eigene Tun im Theater und dem ganzen Betrieb drumherum nachzudenken.

Wie sich Dominas durchsetzen

Walsers sprachgewaltiges Schauspiel, das jetzt im Mannheimer Nationaltheater uraufgeführt worden ist, heißt „Herrinnen“. Und von Herrinnen, von dominanten weiblichen Figuren und ihren Durchsetzungsstrategien, handelt sowohl die Rahmenhandlung der Theaterprobe als auch die Binnenhandlung des zu probenden Theaterstücks: In der „Tür“ treffen sich fünf Frauen bei einer Preisverleihung. Sie alle sind in der Kategorie „weibliche Lebensleistung“ für eine feministische Auszeichnung nominiert und üben nun hinter den Kulissen ihren großen, um die Gunst des Saalpublikums buhlenden Auftritt. Da sind die beiden Topmanagerinnen Rita und Tanja, die schon weit in den Schwellenländern mit ihren entwicklungsfähigen Märkten herumgekommen sind. Da ist die humpelnde Staatsanwältin Martha, die seit 165 Jahren die erste Frau im Obersten Gerichtshof ist, die dort ihren Mann steht, während die Kindergärtnerin Katie jenseits von Frau und Mann allein auf das Gute im Nachwuchs vertraut: „Kindertränen waschen die Welt rein“ verkündet die immer authentische Pädagogin der Runde, der schließlich als Fünfter im Bunde die erwähnte Transe Brenda angehört, die früher Bernd hieß und von Malte gespielt wird.

Mit bewundernswertem Raffinement, dabei gewitzt mit dem Boulevard flirtend schickt Walser die „Herrinnen“ nun ins doppelbödige Treffen. Denn natürlich prägen nicht nur die Spieler ihre Rollen, sondern auch die Rollen ihre Spieler – mit der Folge, dass sich der Überbietungswettbewerb der Preisgala auf subtile Weise im Konkurrenzkampf der Theaterprobe fortsetzt. Und wie gemein es jenseits aller Frauensolidarität hinter den Kulissen zugehen kann, weiß die 47-jährige Walser vermutlich aus eigener Erfahrung. Bevor sie zu schreiben angefangen hat, war sie selber Schauspielerin – und dass sie den Theaterbetrieb aus dem Effeff kennt, merkt man nun auch an der Leichtigkeit, mit der sie aktuelle Diskurse über Dramatik und Postdramatik, Rolle und Rollenausstieg sowohl theoretisch als auch erheiternd praktisch in ihre „Herrinnen“ einbaut. Nicht nur Malte steigt mosernd aus der Probe aus, sondern bald auch der Rest des Quintetts: Die Fiktion muss sich der Wirklichkeit des Kantinentratsches geschlagen geben, in einer überraschenden Volte im Finale, das in Mannheim behutsam vorbereitet wird.

Im Gebirge der tollkühnen Metaphern

Burkhard Kosminski ist kein Mann, der Stücke brutal zertrümmert. Wort für Wort lässt der Uraufführungs-Regisseur die „Herrinnen“ vom Blatt spielen, was insofern angebracht ist, als Walsers geistreich poetischer Text in dieser Werktreue voll zur Geltung kommt: Umgeben von Alltagssprache schießen auf der Mannheimer Bühne nun Metaphern in die Höhe, die sich zu wahren Originalitätsgebirgen vereinen, ohne dabei je ihre eigentliche Bestimmung vergessen zu machen. Treffend kennzeichnen die tollkühnen Sätze die weiblichen Lebensleistungsfiguren, die von Katharina Hauter, Ragna Pitoll, Sabine Fürst und Sven Prietz souverän gespielt werden. Und eben von Anke Schubert, für deren Luzi das Spiel am Ende definitiv aus ist.

In ihrer Rolle als Selfmadefrau Rita wundert sich die dicke Luzi, dass die „meisten Leute einfach nicht kapieren, dass Gott sie nur als Statisten besetzt hat“. Doch was alle ihre Kollegen und Kolleginnen bereits wissen, weiß nur sie selbst noch nicht: Schon in wenigen Minuten wird sie als Schauspielerin nicht mal mehr eine Statistin sein. Das Theater hat sie entlassen – und wenn die dreifaltige Schubert/Luzi/Rita jetzt allein im Scheinwerferlicht steht und herzensinnig von der Magie der Stille schwärmt, verschränken sich Wirklichkeit und Fiktion ein allerletztes Mal. Die Komödie der „Herrinnen“ ist zu Ende. Gallenbitter.